Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsrats wegen Diebstahls. Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (redaktionell)
Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach § 15 KSchG unzulässig, es sei denn, es lägen Tatsachen vor, die den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt wird.
2. Die Zustimmung ist zu ersetzen, wenn das Gericht einen wichtigen Grund als gegeben ansieht. Für die Annahme eines wichtigen Grundes müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht mehr zugemutet werden kann.
Normenkette
KSchG § 15; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 25.01.2011; Aktenzeichen 10/2 BV 2/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25. Januar 2011 - 10/2 BV 2/10 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die antragstellende Arbeitgeberin (Beteiligte 1) begehrt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter 2) zur außerordentlichen Kündigung, fristlos sowie hilfsweise mit sozialer Auslauffrist, des Betriebsratsmitglieds Frau A (Beteiligte 3).
Die Arbeitgeberin betreibt die Spielbank in B, in der etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt sind. Die Beteiligte 3) trat am 1.09.1999 zu ihr in ein Arbeitsverhältnis, zunächst bis 2006 als studentische Croupier-Aushilfe und danach als Croupier in Festanstellung. Sie ist Mitglied des bei der Spielbank bestehenden Betriebsrats.
In der Nacht vom 18./19.06.2010 versah die Beteiligte 3) ihren Dienst am Roulett-Tisch Nr. 4. In der Zeit von 3.45 - 4.00 Uhr arbeitete sie dabei auf der Position "rechter Kesselcroupier", zu dessen Aufgaben u.a. das Sortieren der Masse der im vorhergehenden Spiel verlorenen Jetons gehört. Zum Sortieren der Masse gibt es zwei Techniken, das Picken und das Aufschütteln. Beim Picken werden mit den Fingern beider Hände aus der gemischten Masse die Jetons in der Reihenfolge ihrer Wertigkeit, beginnend mit der höchsten, herausgepickt. Beim Aufschütteln werden die Jetons der nur noch aus einer Jetonsorte bestehenden Masse mit beiden Händen hochgeschüttelt und dann als Stapel auf dem Brett abgelegt. Außer der Beteiligten 3) waren zu der Zeit noch zwei weitere Croupiers (Kopfcroupier u. Zahlcroupier), der Tischchef, ein staatlicher Überwachungsbeamter und ein Mitarbeiter der Saalleitung am Roulett-Tisch Nr. 4 beschäftigt. 2,3 m entfernt versah die Zeugin C ihren Dienst als studentische Saalservice-Aushilfe und beobachtete den Tisch.
Der Rouletttisch wird von einer Kamera hinter der Sitzposition des Tischchefs und zwei weiteren Kameras jeweils in den beiden Lampenschirmen etwa 1,30 m oberhalb der Tischkante videoüberwacht. Darüber hinaus wird der gesamte Saal von vier Kameras an der Decke überwacht. Die Videoüberwachung war im Zeitpunkt des Vorfalls in einer Betriebsvereinbarung "Spielüberwachung per Video" vom Februar 2000 Bl. 301, 302 d.A.) geregelt. Diese wurde im Jahr 2007 gekündigt, bis zum Juni 2010 jedoch nicht durch eine wirksame Folgeregelung ersetzt. Die Regeln für das Französische Roulette hat die Arbeitgeberin in der Qualitätsmanagement-Dokumentation vom 28.04.2005 (Bl. 205-209 d.A.) niedergelegt.
Am 20.06.2010 abends berichtete die Zeugin C der Arbeitgeberin, dass sie beobachtet habe, dass die Beteiligte 3) am 19.06.2010 zwischen 3.45 und 4.00 Uhr morgens einen blauen 100er-Jeton entwendet habe. Am 21.06.2010 rief die Arbeitgeberin die Beteiligte 3) in das Büro des Geschäftsführers und konfrontierte sie mit dem Vorwurf. Sie wies sie darauf hin, dass sich die Beobachtungen der Zeugin C mit den vom Geschehen am Spieltisch gemachten Videoaufzeichnungen bis auf den Umstand deckten, dass im Film das ihr von der Zeugin geschilderte mehrmalige Aufblitzen des 100er Jetons nicht zu sehen sei. Der Verlauf und der weitere Inhalt des Gesprächs sind zwischen den Parteien weitgehend streitig. Die Beteiligte 3) trug bei dem Gespräch eine Weste, deren Außentaschen entgegen der einschlägigen Vorschrift in der Betriebsvereinbarung nicht zugenäht waren.
Am 25.06.20110 beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten 3) wegen der Begehung und des Verdachts des Diebstahls eines 100er-Jetons. (Bl. 33 - 36 d. A.). Die Kündigung war sowohl fristlos als auch mit sozialer Auslauffrist vorgesehen. Der Betriebsrat verweigerte mit Schreiben vom 27.06.2010 (Bl. 37 d. A.) seine Zustimmung. Die Arbeitgeberin hat am 01.07.2010 ihren Antrag auf Zustimmungsersetzung beim Arbeitsgericht Wiesbaden eingereicht.
Zur Ergänzung des weiteren unstre...