Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung eines schwerbehinderten Bewerbers wegen Diskriminierung aufgrund Behinderung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 S. 2 SGB IX) besteht nur dann nicht, wenn dem schwerbehinderten Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Der schwerbehinderte Bewerber muss hingegen bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.

2. Ob ein Bewerber offensichtlich nicht die notwendige fachliche Eignung hat, beurteilt sich nach den Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen für die zu besetzende Stelle und den einzelnen Aufgabengebieten. Diese Erfordernisse werden von den in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationsmerkmalen konkretisiert.

3. Die Anforderung langjähriger Berufs- und Führungserfahrung ist bei einem Bewerber, der acht Jahre lang als technischer Leiter oder stellvertretender Betriebsleiter tätig war, nicht offensichtlich nicht gegeben.

 

Orientierungssatz

Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG - öffentlicher Dienst und unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch.

 

Normenkette

SGG IX § 82 S. 2; AGG § 15

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 24.04.2014; Aktenzeichen 21 Ca 8338/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.08.2016; Aktenzeichen 8 AZR 375/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2014 - 21 Ca 8338/13 - unter Zu0 rückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 2.861,96 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben zu 1/3 die Beklagte und zu 2/3 der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Entschädigungszahlung.

Der Kläger ist ua. ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer und staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich Alternative Energien. Nach seinem Schwerbehindertenausweis vom 12. Juli 2011 beträgt der Grad seiner Behinderung 50.

Die Beklagte ist als hessische Kommune eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie übertraf im Jahr 2012 die Pflichtquote in § 71 Abs. 1 SGB IX mit einem Besetzungsgrad von 11,32 %. Mitte 2013 veröffentlichte die Beklagte eine Stellenausschreibung für einen technischen Angestellten zur Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik des von ihr unterhaltenen Komplexes "Palmengarten". Die Vergütung der Stelle sollte entsprechend der Entgeltgruppe 11 TVöD, was zum Ausschreibungszeitpunkt in Stufe 1 € 2.861,96 brutto monatlich entsprach, erfolgen. In der Stellenausschreibung, wegen deren Einzelheiten im Übrigen auf Bl. 52 d. A. verwiesen wird, heißt es auszugsweise wie folgt:

"...

Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/ Sanitär-/ Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; langjährige Berufs- und Führungserfahrung; fundierte Kenntnis und sichere Anwendung der einschlägigen Regelwerke, insbes. der BetrSichV, UVV, MLAR, HausPrüfVO, HBO, VOB, VOL; Führungs- und Organisationskompetenz; Kommunikationsstärke und Teamfähigkeit; soziale Kompetenz; Durchsetzungsvermögen; Verantwortungs- und Einsatzbereitschaft; selbstständiges Arbeiten; gute schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit; gute Kenntnisse der MS-Office-Programme; Bereitschaft zum gelegentlichen Dienst an Wochenenden und in den Abend- und Nachtstunden; Bereitschaft zur Weiterbildung; interkulturelle Kompetenz.

...Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt...

Ihre aussagefähigen Bewerbungsunterlagen richten Sie bitte bis zum 30.08.2013 unter Angabe der Kennziffer xxxxx/xxxl an den:

Magistrat der Stadt

..."

Mit Schreiben vom 14. August 2013 (Bl. 3 f. d. A.) bewarb sich der Kläger bei der Beklagten auf die ausgeschriebene Stelle, wobei er unter der Grußformel mit Namen Folgendes aufnahm:

"Anlagen:

Anschreiben

Lebenslauf

Zeugnis

Schwerbehindertenausweis"

Seinem Bewerbungsschreiben waren eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises sowie ein insgesamt 5-seitiger tabellarischer Lebenslauf vom 15. Juli 2013 beigefügt, der auszugsweise folgende Angaben enthielt und wegen dessen Einzelheiten im Übrigen auf Bl. 5 ff. d. A. verwiesen wird:

"...

BERUFSERFAHRUNG

10/07 - 09/12 ...

Projektsachbearbeiter, Fa. A

Aufgaben

...

- Unterstützung der Projektleiter bei der Verwaltung der einzelnen Projekte

...

- Objektleiter von vier Büroliegenschaften mit ca. je 5000 qm Bürofläche

...

- Ökologische und Ökonomische Objektführung

- Beurteilung der Technischen Einrichtungen und Anlagenteile

...

- Führung der Objekttechniker

- Beratung des Niederlassungsleiters

...

...

09/04 - 08/09

Stellvertretender Betriebsleiter in Teilzeit, Fa. B, C

Umwelttechnik, Alternative ...

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