Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit des Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) vom 25. Mai 2017. Keine Verjährung von Beitragsansprüchen nach zwischenzeitlich eingetretener neuer Rechtsgrundlage. Ausnahmeregelungen zum fachlichen Geltungsbereich der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe
Leitsatz (amtlich)
1. Das am 25. Mai 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) verstößt nicht gegen das GG. Insbesondere ist die dort angeordnete echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 GG scheidet aus.
2. Hat der Kläger rechtzeitig die Hemmung der Verjährung seiner Beitragsansprüche, die er ursprünglich noch auf der Grundlage der unwirksamen Allgemeinverbindlichkeit geltend gemacht hat, herbeigeführt, so sind die Beitragsansprüche, die er nunmehr auf das SokaSiG stützt, nach dem Rechtsgedanken des § 213 BGB nicht verjährt.
3. Die Verlegung von keramischen Fliesen in Industriehallen fällt nicht in den Anwendungsbereich der Ausnahme für Säureschutzindustriebetriebe.
Normenkette
SokaSiG §§ 7, 10-11, 14; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 9 Abs. 3, Art. 19 Abs. 1 S. 1; TVG § 4 Abs. 2, § 5 Abs. 1a, 4; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98; BGB § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 213; VTV-Bau § 1 Abs. 2 Absch. VII Nr. 10, § 21
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 25.05.2016; Aktenzeichen 6 Ca 962/15) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25. Mai 2016 - 6 Ca 962/15 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 206.430,00 EUR (in Worten: Zweihundertsechstausendvierhundertdreißig und 0/100 Euro) zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 11 % und der Beklagte 89 % zu tragen.
Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) nimmt er den Beklagten auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 231.590 Euro in Anspruch. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer für den Zeitraum Dezember 2010 bis Dezember 2013. Der Kläger legte dabei die im Baugewerbe durchschnittlich erzielten Löhne zu Grunde und ging davon aus, dass im Betrieb pro Monat mindestens 10 Arbeitnehmer beschäftigt worden sind.
Der Beklagte betrieb jedenfalls bis zum 31. August 2013 als Einzelunternehmer einen Gewerbebetrieb mit Sitz in A. In einer Betriebsanmeldung gab der Beklagte am 4. Februar 2013 an, dass er bis zum 31. August 2013 im Betrieb Korrosionsschutzarbeiten und "Säurebau" erbracht habe (Bl. 13 der Akte). Er ist weder Mitglied im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes noch im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Die Einzelfirma des Beklagten wurde ausschließlich als Subunternehmer für die Firma B mit Sitz in den USA bzw. deren konzernangehörige Unternehmen tätig.
Sein Gewerbe ist angemeldet mit der Durchführung von Korrosionsschutzarbeiten und Erstellung von keramischen, säurebeständigen Bodenbelägen. Im Betrieb des Beklagten wurden säurebeständige keramische Böden in der Lebensmittel,- Pharma-, Getränke- und Automobilindustrie hergestellt. Der übliche Herstellungsvorgang stellte sich wie folgt dar: Auf einer Schicht von Bettungsmörtel wurde ein Epoxidharzgemisch aufgebracht, auf dem ein keramischer Belag in Form von Klinkerplatten oder Feinsteinzeugplatten aufgebracht wurde; anschließend erfolgte die Verfugung mit einem speziellen Gemisch aus Epoxidharz und Quarzsand.
Zum 31. August 2013 wurde das Anlagevermögen auf die Fa. C. übertragen. Wegen der Einzelheiten des Kaufvertrages wird verwiesen auf Bl. 104-109 der Akte. Ab dem 31. August 2013 stellte der Beklagte den Betrieb ein und importierte nur noch Kraftfahrzeuge.
Im Jahr 2006 prüfte die Bundesagentur für Arbeit - Regionaldirektion Niedersachsen - ob eine Verpflichtung des Betriebs zur Zahlung der Winterbeschäftigungsumlage gemäß der §§ 354 ff. SGB III gegeben sei. Mit Bescheid vom 12. September 2006 wurde festgestellt, dass im Betrieb keine baulichen Leistungen erbracht würden. Zum gleichen Ergebnis kam die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2014.
Mit Mahnbescheid vom 14. Juli 2015 ist der Anspruch bei dem Arbeitsgericht anhängig gemacht worden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte verpflichtet sei, am Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teilzunehmen. Er verweist darauf, dass der Beklagte bei der Betriebsanmeldung angegeben habe, dass er bis Mitte 2013 Korrosionsschutz- und Säurebauarbeiten erbracht habe. Er mache sich hilfsweise den Sachvortrag der Gegenseite zu ...