Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage auf künftig fällig werdende Betriebsrentenansprüche. Ausübung billigen Ermessens bei der Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers nach § 16 Abs. 1 BetrAVG. Eigenkapitalverzinsungsrate als Hauptindikator für die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei wiederkehrenden Leistungen, die - wie Betriebsrentenansprüche - von keiner Gegenleistung abhängen, können gemäß § 258 ZPO grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird.
2. Bei der Überprüfung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Gerichte für Arbeitssachen haben in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 2 und Abs. 3 BGB zu überprüfen, ob der Arbeitgeber bei seiner Anpassungsentscheidung den ihm eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat.
3. Die angemessene Eigenkapitalverzinsung besteht grundsätzlich aus einem Basiszins und einem Zuschlag für das Risiko, dem das in dem Unternehmen investierte Kapital ausgesetzt ist. Der Basiszins entspricht der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen. Der Risikozuschlag beträgt 2 %.
Normenkette
BetrAVG § 16 Abs. 1; ZPO §§ 258-259, 308 Abs. 1; BetrAVG § 16 Abs. 2; HGB § 266 Abs. 3; AktG § 302 Abs. 1; BGB § 315 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 30.01.2020; Aktenzeichen 5 Ca 302/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 30. Januar 2020 - 5 Ca 302/19 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anpassung der Betriebsrente des Klägers zum Stichtag 1. Januar 2019.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der „A“, die Wursthüllen und Cellulose-Schwammtuch entwickelt, herstellt und vertreibt. Die Beklagte ist schwerpunktmäßig mit der Entwicklung und Herstellung dieser Produkte betraut.
Der Kläger bezieht von der Beklagten eine Betriebsrente in Höhe von 6.754,39 Euro monatlich. Die letzte Rentenanpassung fand zum 1. Januar 2016 statt. Hinsichtlich der im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanzen für die Geschäftsjahre 2014 und 2015 wird auf das Anlagenkonvolut K3 (Bl. 76 - 79 d.A.) Bezug genommen.
Im Jahr 2016 schloss die Beklagte mit der B, ebenfalls ein Unternehmen der „A“, einen Ergebnisabführungsvertrag, nach dem Jahresüberschüsse und Jahresfehlbeträge übernommen werden. In diesem Geschäftsjahr betrug das durchschnittliche Eigenkapital der Beklagten ausweislich der im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanz (Bl. 80 f. d.A.) 47.380.586,01 Euro (zu Jahresbeginn 44.227.853,01 Euro und zum Jahresende 50.533.319,01 Euro) und das Ergebnis nach Steuern abzüglich sonstiger Steuern 138.910.203,87 Euro (ohne Berücksichtigung der Steuern vom Einkommen und Ertrag 113.491.517,15 Euro). Darin enthalten war ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 111.710.000,00 Euro durch den Verkauf von Anteilen der Beklagten an der C. Aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags mit der B betrug der Jahresüberschuss 0,00 Euro.
Im Geschäftsjahr 2017 betrug das durchschnittliche Eigenkapital der Beklagten ausweislich der im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanz (Bl. 82 f. d.A.) 50.533.319,01 Euro (zu Jahresbeginn 50.533.319,01 Euro und zum Jahresende ebenfalls 50.533.319,01 Euro) und das Ergebnis nach Steuern abzüglich sonstiger Steuern -23.285.587,94 Euro (ohne Berücksichtigung der Steuern vom Einkommen und Ertrag -22.602.713,24 Euro). Aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags mit der B betrug der Jahresüberschuss 0,00 Euro.
Im Geschäftsjahr 2018 betrug das durchschnittliche Eigenkapital der Beklagten ausweislich des als Anlage B1 vorgelegten Jahresabschlusses und Lageberichts (Bl. 151 - 188 d.A.; die Bilanz Bl. 158 f. d.A.) 50.533.319,01 Euro (zu Jahresbeginn 50.533.319,01 Euro und zum Jahresende ebenfalls 50.533.319,01 Euro) und das Ergebnis nach Steuern abzüglich sonstiger Steuern -30.448.300,58 Euro (ohne Berücksichtigung der Steuern vom Einkommen und Ertrag -30.665.037,88 Euro). Aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags mit der C betrug der Jahresüberschuss 0,00 Euro. In diesem Jahr reduzierte die Beklagte 22 Arbeitsplätze am Standort D, unterließ die tariflichen Einmalzahlungen für 642 Mitarbeiter in den Monaten August/September 2018 und nahm Refinanzierungsverhandlungen mit Investoren auf.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2018 (Bl. 5 f. d.A) informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie eine Anpassung zum 1. Januar 2019 aus wirtschaftlichen Gründen unterlassen werde.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2019 (Anlage K2 = Bl. 7 f. d.A.) widersprach der Kläger der unterlassenen Rentenanpassung.
Ausweislich des im Bundesanzeiger veröffentlichten und dem Vorsitzenden aus mehreren in seiner Kammer rechtshängigen Berufung...