Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang des Verfalls von Entgeltansprüchen aufgrund einer tariflichen Verfallklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Kein Verfall von Ansprüchen in Höhe des Mindestlohns, § 3 MiloG, § 14 BRTV

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine tarifliche Verfallklausel, wonach alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, umfasst nicht den Anspruch auf Erhalt des gesetzlichen Mindestlohns, da gem. § 3 MiLoG Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, unwirksam sind.

 

Normenkette

MiLoG § 3

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Entscheidung vom 07.07.2016; Aktenzeichen 3 Ca 20/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.06.2018; Aktenzeichen 5 AZR 377/17)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 7. Juli 2016 - 3 Ca 20/16 - wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 31 % und die Beklagte 69 % zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um einen Vergütungsanspruch aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Der Kläger war bei der Beklagten, die ein Bauunternehmen betreibt, von März 2012 bis zum 31. Oktober 2015, zuletzt zu einem Stundenlohn von 13,00 EUR brutto als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) Anwendung.

Nach Erhalt des Kündigungsschreibens vom 17. September 2015, wonach das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2015 enden sollte, hatte der Kläger keine Arbeitsleistung mehr erbracht und der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Oktober 2015 übermittelt. Diese zahlte weder Vergütung noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015. Erstmals mit seiner am 18. Januar 2016 der Beklagten zugestellten Klage begehrte der Kläger die Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechts und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 7. Juli 2016 - 3 Ca 20/16 - gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen (Bl. 53-54 d.A.).

Das Arbeitsgericht Kassel hat durch vorgenanntes Urteil der Klage in Höhe von 1.525,75 EUR brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat angenommen, der Kläger habe aufgrund der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen hinreichend dargelegt, dass er im Oktober 2015 an der Erbringung seiner Arbeitsleistung durch Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen sei und ihm deshalb grundsätzlich ein Anspruch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Maßgabe der §§ 3, 4 EntgeltfortzahlungsG zustehe. Im Hinblick auf den, den gesetzlichen Mindestlohn übersteigenden Anteil seiner Forderung sei der Anspruch des Klägers nach § 14 BRTV verfallen, da die tarifliche Ausschlussfrist hinsichtlich des den Mindestlohn übersteigenden Vergütungsteils wirksam sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 55-57 d.A. Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung, jeweils innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 4. Mai 2017 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen eingelegt; der Kläger hat die Anschlussberufung nach streitiger Verhandlung zurückgenommen.

Die Beklagte verfolgt ihr Begehren auf Klageabweisung unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie vertritt die Ansicht, dem Kläger stehe der geltend gemachte Vergütungsanspruch nicht zu, da sein Anspruch auch im Umfang des ihm zugestandenen Mindestlohns nach § 14 BRTV verfallen sei. § 14 BRTV stelle keine "Vereinbarung" im Sinne von § 3 Satz 1 MiLoG dar. § 3 Satz 1 MiLoG meine ausschließlich Individualvereinbarungen. Aus § 1 Abs. 3 MiLoG folge, dass Tarifverträge und erst recht für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge dem Mindestlohngesetz entgegenstehende Regelungen wirksam enthalten könnten. Im Sinne der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie müsse den Tarifvertragsparteien die rechtliche Freiheit und damit Möglichkeit gegeben bleiben, tarifliche Regelungen aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 7. Juli 2016 - 3 Ca 20/16 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf die Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2017 (Bl. 101 d.A.) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten...

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