Leitsatz (amtlich)
Normunterworfene müssen dann mit einer rückwirkenden Verschlechterung eines (Haus-) Tarifvertrages (hier Weihnachtsgeldkürzung) rechnen, wenn die eine Tarifpartei trotz fehlender Kündigung des Tarifvertrages sich wegen schlechter wirtschaftlicher Lage weigert, tarifliche Forderungen zu erfüllen und die andere Tarifpartei sich auf Tarifverhandlungen für das laufende Jahr und ein Schlichtungsverfahren einläßt.
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.06.1998; Aktenzeichen 14 Ca 215/97) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts vom 10.06.1998 – 14 Ca 215/97 abgeändert.
Die Klage auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation wird abgewiesen.
Von den erstinstanzlichen Kosten haben die Klägerin 90 % und der Beklagte 10 % zu tragen.
Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, gemäß einem Tarifvertrag vom 14. Dezember 1996 die Weihnachtsgratifikation für 1996 um 25 % zu kürzen.
Der Beklagte betreibt zahlreiche Einrichtungen zur Sozialarbeit und zur Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Bei ihm sind ca. 8000 Arbeitnehmer tätig. Die Arbeitsbedingungen der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer werden in mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (im folgenden: ÖTV) ausgehandelten Firmentarifverträgen geregelt. Diese wendet der Beklagte in ihrer jeweils gültigen Form betriebseinheitlich auf alle Arbeitnehmer an, unabhängig davon, ob sie Mitglied der ÖTV sind oder ob wie bei der Klägerin in den neueren Arbeitsverträgen ausdrücklich auf sie Bezug genommen worden ist oder ob – wie nach älteren Arbeitsverträgen nur auf die Arbeitsordnung des Beklagten Bezug genommen ist, die als Gesamtbetriebsvereinbarung in den Betrieben des Beklagten gilt und die in § 9 die Anwendung der Tarifverträge, darunter auch den Tarifvertrag über die Weihnachtsgratifikation vorsieht.
Mit dem Tarifvertrag über eine Weihnachtsgratifikation vom 28. August 1980 begründeten die Tarifvertragsparteien einen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehalts.
Unter § 2 der Fassung vom 10. November 1994 war zu den Anspruchsvoraussetzungen und zur Fälligkeit unter anderem folgendes geregelt:
„(1) Der Arbeitnehmer erhält in jedem Kalenderjahr eine Weihnachtsgratifikation, sofern er den ganzen Monat Dezember in einem Arbeitsverhältnis zum IB steht.
(2) Die Höhe der Gratifikation beträgt 100 % der Bruttobezüge einschließlich regelmäßig zu zahlenden Überstundenvergütungen, Zulagen und Zuschläge des Monats Oktober. Der gewährt für jedes Kind, für das die erhöhten Orts- bzw. Sozialzuschläge gezahlt werden, 50,– DM Weihnachtsgeld. Sofern für den Monat Oktober keine Bezüge gezahlt wurden, wird die Gesamtvergütung zugrunde gelegt, die bei normaler Arbeitsleistung hätte gezahlt werden müssen.
Hat der Arbeitnehmer nicht während des gesamten Kalenderjahres Bezüge … erhalten, vermindert sich die Gratifikation um 1/12 für jeden Kalendermonat, für den der Arbeitnehmer keine Bezüge erhalten hat. Scheidet ein Arbeitnehmer vordem 31. März des folgenden Kalenderjahres auf eigenen Wunsch oder durch verhaltensbedingte Kündigung aus den Diensten des aus, entfällt ein Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation. Hat der Arbeitnehmer in diesen Fällen die Weihnachtsgratifikation erhalten, so hat er sie in voller Höhe zurückzuzahlen.
(5) Die Auszahlung der Weihnachtsgratifikation für alle Arbeitnehmer im erfolgt mit der Auszahlung der Bezüge für den Monat November.”
Dabei ist unstreitig, daß die monatlichen Bezüge, auch die für November Ende des Monats, also nachschüssig ausgezahlt werden.
§ 4 des Tarifvertrags lautet:
„Dieser Tarifvertrag tritt am 10. November 1994 in Kraft. Er kann zum 30. Juni eines jeden Jahres schriftlich gekündigt werden.”
Gemäß einer Besprechungsniederschrift der Tarifvertragsparteien vom 5. Mai 1994 war die Gratifikation für die Jahre 1994 bis 1996 auf der Grundlage der im November 1993 geltenden Vergütungstarifverträge zu berechnen.
Nach einer massiven Expansion der Geschäftstätigkeit, die dazu führte, daß sich der Umsatz des Beklagten zwischen 1990 und 1994 mehr als verdoppelte, zeichnete sich im Sommer 1996 für das Geschäftsjahr 1995 ein voraussichtliches wirtschaftliches Ergebnis von minus 29 Millionen DM ab. Wegen der Einzelheiten wird auf das von der ÖTV in Auftrag gegebene des … verwiesen, das im September 1996 übergeben wurde.
Am 11. Oktober 1996 tagte die Tarifkommission der ÖTV. Das Ergebnis wurde in einem Flugblatt von 12. Oktober 1996 folgendermaßen zusammengefaßt:
„Die Tarifkommission der ÖTV hat in den Verhandlungen am 11.10.1996 zur „Problematik Weihnachtsgeld” Lösungsmöglichkeiten unterbreitet, die allerdings von der Arbeitgeberseite als nicht akzeptabel bezeichnet wurden. Insbesondere hat die ÖTV angeboten, bei den Auszahlungsmodalitäten gesprächsbereit zu sein. Allerdings hat die ÖTV auch erklärt, daß an der Höhe des Weihnachtsgeldes nich...