Leitsatz (amtlich)
Es verstößt gegen die guten Sitten und gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wenn eine Kirche das Wissen, das ihr ein kirchlicher AN mit der Bitte um seelsorgerischen Beistand offenbart hat, gegen den AN mit dessen fristloser Entlassung verwertet.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 3; BGB § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.01.1995; Aktenzeichen 2 Ca 402/94) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26.01.1995 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Es handelt sich um eine Kündigungsschutzklage gegen eine fristlose Kündigung.
Der Kläger war seit 1986 bei der verklagten Mormonenkirche, einer anerkannten Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Gebietsdirektor Europa, Abteilung Öffentlichkeitarbeit, zu einem Monatsgehalt von zuletzt 10.047,50 DM beschäftigt. Es galt der Arbeitsvertrag vom 25.09.1986 (Bl. 3 bis 8 d. A.), in dem auf die Tätigkeitsbeschreibung (Bl. 21 bis 24 d. A.) Bezug genommen wurde. Nach § 10 Absatz 1 des Arbeitsvertrags hatte der Kläger jegliches Verhalten zu unterlassen, wodurch der Ruf der Kirche geschädigt oder ihre Grundsätze in Frage gestellt werden könnten. Der Kläger wurde dort „zur Einhaltung hoher moralischer Grundsätze” verpflichtet.
Der Kläger war in der Mormonenkirche auf gewachsen. Von 1978 bis 1980 war er für sie als Vollzeit-Missionar tätig. Danach bekleidete er bei ihr verschiedene Ämter, zuletzt das eines Bischofs. Er war mit einer Mormonin verheiratet.
Anfang Dezember 1993 wandte sich der Kläger an den für ihn zuständigen Seelsorger, den Pfahlpräsidenten S., und bat um seelsorgerischen Beistand. In diesem Zusammenhang offenbarte er dem Pfahlpräsidenten, daß seine Ehe seit mehreren Jahren notleidend sei und er mehrfach Geschlechtsverkehr mit einer anderen Frau gehabt habe.
Bei den Mormonen gilt Ehebruch als schwere Sünde, die gleich nach Mord kommt.
Der Pfahlpräsident teilte dem Kläger mit, dieser müsse sich an den Gebietspräsidenten N. wenden, welcher der nächsthöhere Seelsorger und zugleich der arbeitsrechtliche Vorgesetzte des Klägers war. Wenn der Kläger das nicht selbst tue, werde er, S., den Gebietspräsidenten unterrichten.
Der Kläger wandte sich darauf mit seinem seelsorgerischen Anliegen an N.. Dieser enthielt sich eines seelsorgerischen Beistandes. Statt dessen sprach er innerhalb einer Woche nach seiner Unterrichtung durch den Kläger namens der Beklagten eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.
Der Kläger hat vorgetragen:
Die fristlose Kündigung sei unwirksam. Die Beklagte habe vor ihrer Kündigung nicht hinreichend deutlich gemacht, daß sie Ehebruch als einen Kündigungsgrund ansehe, der zur fristlosen Entlassung berechtige. Die Kündigung sei im übrigen sittenwidrig. Die Beklagte habe seine gewissermaßen unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses offenbarte höchstpersönliche Verfehlung nicht arbeitsrechtlich gegen ihn verwerten dürfen, zumal der Ehebruch nicht bekannt gewesen sei, bevor er sich mit der Bitte um seelsorgerischen Beistand an seinen Seelsorger gewandt habe.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der beklagten vom 27.12.1993 nicht aufgelöst worden sei, sondern fortbestehe.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen:
Der Ehebruch des Klägers stelle einen wichtigen Grund für die fristlose Entlassung dar. Ihre Glaubwürdigkeit wäre unerträglich beeinträchtigt worden, wenn sie, den Kläger trotz des bekanntgewordenen Ehebruchs weiter in seiner exponierten Stellung als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit in Europa belassen hätte. Auf Grund ihres Selbstbestimmungsrechts als anerkannter Religionsgesellschaft könne sie bestimmen, was ihre Glaubwürdigkeit erfordere und welche Loyalitätspflichten sie an ihre Angestellten stelle. Der Ehebruch sei ihr bereits vor seiner Offenbarung durch den Kläger durch dessen Ehefrau mitgeteilt worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat in seinem Urteil vom 26.01.1995 ausgeführt, der Beklagten sei unter Berücksichtigung aller Umstände und ihrer eigenen religiösen Grundsätze die Weiterbeschäftigung des Klägers zumutbar gewesen, da der Kläger sich reumütig gezeigt und den Willen zur Umkehr gehabt habe.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag unter Vertiefung ihres Vorbringens weiter. Sie wendet sich gegen den Standpunkt des Arbeitsgerichts, daß der Kläger reumütig und umkehrwillig gewesen sei, und weist darauf hin, daß der Kläger inzwischen geschieden und aus der Kirche ausgeschlossen sei, welche Tatsachen unstreitig sind. Sie stellt klar, daß sie erst durch die Mitteilungen des Klägers von seinem Ehebruch erfahren habe.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung. Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er führt aus, daß seine Ehescheidung die Fol...