Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausliegen eines Tarifvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

Reicht es aus, daß ein Tarifvertrag in einem jederzeit jedem Arbeitnehmer des Betriebes zugänglichen Ordner abgeheftet ist, damit das vorgeschriebene „Ausliegen” gegeben ist?

 

Normenkette

MTV Einzelhandel Hessen § 18

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 24.03.1997; Aktenzeichen 3 Ca 709/96)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.11.1998; Aktenzeichen 5 AZR 63/98)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 24. März 1997-3 Ca 709/96 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um weitere tarifvertragliche Vergütungsansprüche der Klägerin gegen den Beklagten.

Die Klägerin ist, nachdem sie die am 01. September 1983 begonnene Lehre als Verkäuferin mit der am 30. Januar 1986 bestandenen Prüfung abgeschlossen hatte (Bl. 6-9 d. A.), ausgebildete Verkäuferin. Bereits vom 28. April 1986 bis 03. Mai 1989 (Arbeitszeugnis Bl. 5 d. A.) und dann wieder aufgrund des zahlreiche Male verlängerten Arbeitsvertrags vom 10. Januar 1995 in der Zeit vom 02. Januar 1995 bis 15. oder 30. Juni 1996 (Arbeitsvertrag und „Vertragsänderungen” Bl. 23 – 44 d. A.) war sie jeweils in einem Teilzeitarbeitsverhältnis bei dem Beklagten in dessen Verkaufsstelle – Drogeriemarkt – in I tätig. Aus der der Klägerin gezahlten Vergütung und der, die ihr nach Gehaltsgruppe I des Gehaltstarif Vertrages für den Hessischen Einzelhandel im 4. und 5. Berufsjahr zustehen würde, errechnet sich ein Gesamtdifferenzbetrag von 3.222,27 DM brutto (im einzelnen Aufstellung und Berechnung Bl. 12 u. 13 d. A.), die allerdings aufgrund eines Additionsfehlers mit einem Betrag von 4.222,27 DM brutto schließt. Den Betrag von 4.222,27 DM brutto machte die Klägerin durch einen Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), deren Mitglied sie ist, mit einem Schreiben vom 17. Oktober 1996 dem Beklagten gegenüber geltend (Bl. 10 – 13 d. A.). Der Gehaltstarifvertrag zwischen der Gewerkschaft HBV und dem Hessischen Einzelhandelsverband vom 16./17. Juni 1993, gültig ab 01. März 1993, war bis zum 28. Februar 1995, und der Gehaltstarif vertrag vom 29. Juni 1995, gültig ab dem 01. März 1995, war bis zum 29. Februar 1996 für allgemeinverbindlich erklärt, ebenso der Manteltarifvertrag für den Hessischen Einzelhandel vom 01. März 1994, gültig ab 01. Januar 1994 (im folgenden nur: MTV) im Klagezeitraum. § 18 MTV lautete, soweit hier von Bedeutung, wie folgt:

  1. „Vergütungen von Mehr-, Nacht-, Sonn- oder Feiertagsarbeit sind spätestens am Schluß der folgenden Gehalts- und Lohnperiode mit dem Monatsentgelt auszuzahlen.

    Nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind dem Arbeitgeber gegenüber schriftlich folgendermaßen geltend zu machen:

    1. Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütungen …
    2. Alle übrigen Ansprüche aus diesem Tarifvertrag sind spätestens binnen 2 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend zu machen.
  2. Diese Fristen sind Ausschlußfristen. Ansprüche, die nicht vor Ablauf dieser Fristen schriftlich geltend gemacht werden, erlöschen.
  3. Die Ansprüche der Arbeitnehmerinnen erlöschen nicht, wenn dieser Tarifvertrag den Arbeitnehmerinnen nicht ausgehändigt oder im Betrieb nicht ausgelegt oder ausgehängt ist. …”

Dieser Tarifvertrag befand sich während der Beschäftigung der Klägerin in der Verkaufsstelle I. in einem auf der Rückseite mit „Info” beschrifteten, nur etwa zur Hälfte gefüllten „Leitz”-Ordner, der zudem die Betriebs- und Hausordnung, Reisekostenregelungen sowie Verkaufs- und Kassieranweisungen, die die Klägerin vor einem von ihr am 18. Januar 1996 abgelegten Foto- und einem am 22. März 1996 absolvierten Kassen- und Inventur-Test durcharbeiten mußte, enthielt, hinter einem überstehenden, in großen Buchstaben mit „Tarifverträge” gekennzeichneten Trennblatt an letzter Stelle. Dieser Ordner war einer von insgesamt 9 Ordnern, die im allen Arbeitnehmerinnen der Verkaufsstelle jederzeit zugänglichen Büro der Verkaufsstelle, in dem keine Arbeitnehmerin ihren festen Arbeitsplatz hatte, auf dem einzigen Regalbrett über dem dort befindlichen Tisch standen. Der Klägerin ist von dem Beklagten nicht mitgeteilt worden, daß sich der MTV dort befindet und eingesehen werden kann. Die Klägerin hat nicht um die Bekanntgabe des Inhalts des MTV gebeten. Nachdem der Beklagte die von der Klägerin erhobene Forderung nicht erfüllt hat, verfolgt sie den Anspruch über den Betrag von 4.222,27 DM, zuletzt in der Berufungsinstanz von 3.222,27 DM brutto, im Klagewege weiter.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe von der Existenz des MTV an der genannten Stelle keine Kenntnis gehabt. Sie ist der Ansicht gewesen, die Ausschlußfrist des § 18 Nr. 1 lit. b MTV greife nicht ein, da der MTV ihr weder – insoweit unstreitig – ausgehändigt worden noch er im Betrieb ausgelegt oder ausgehängt gewesen sei. Es gehe um die Anwendung einer tarifvertraglichen Vereinbarung, an...

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