Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfähigkeit. Beitragspflicht. entsandte Arbeitnehmer. Portugal

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der Berufungsinstanz kann ohne Anschlussberufung von der Auskunfts- zur Leistungsklage übergegangen werden, soweit die Voraussetzungen von § 264 ZPO vorliegen (Anschluss an BAG 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – NZA 2003, 734, 736).

2. Für aus Portugal für maximal 12 Monate entsandte gewerbliche Arbeitnehmer, die über eine Bescheinigung gemäß VO (EWG) Nr. 1408/71 verfügen, sind keine Sozialkassenbeiträge gemäß § 18 VTV-Bau aus Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EFZG zu entrichten, wenn diese Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt sind, da diese Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit keine Leistungen ihres Arbeitgebers, sondern Leistungen der stattlichen portugiesischen Pflichtversicherung erhalten. Auch an gesetzlichen Feiertagen in Deutschland entsteht hinsichtlich dieser Arbeitnehmer keine Beitragspflicht.

 

Normenkette

AEntG § 1; TVG Tarifverträge: Bau § 1; EWGV 1408/71

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 12.05.2009; Aktenzeichen 10/9 Ca 162/09)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 10 AZR 201/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 12. Mai 2009 – 10/9 Ca 162/09 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 468,73 EUR (in Worten: Vierhundertachtundsechzig und 73/100 Euro) nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr als Prozesszinsen seit dem 30. April 2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, an den Beklagten Beiträge aus Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG für gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 aus Portugal nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer zu zahlen, die nicht dem deutschen System der Sozialen Sicherheit unterliegen, wobei der Nachweis im Verhältnis der Klägerin zum Beklagten verbindlich geführt werden kann durch Vorlegung einer Bescheinigung eines außerdeutschen/portugiesischen Sozialversicherungsträgers nach der VO (EWG) Nr. 1408/71 oder der VO (EG) Nr. 987/2009, die nach ihrem Inhalt einem Arbeitnehmer der Klägerin bescheinigt, dass er nicht dem deutschen System der Sozialen Sicherheit unterliegt, sondern dem System der Sozialen Sicherheit des außerdeutschen Trägers der Sozialen Sicherheit, der die Bescheinigung ausgestellt hat.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin unter Vorbehalt ausgezahlte Beiträge nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes zurückzuzahlen, sowie über die Feststellung, ob Sozialkassenbeiträge aus Entgeltfortzahlung für aus Portugal für maximal 12 Monate entsandte Arbeitnehmer zu entrichten sind, die über eine Bescheinigung gemäß VO (EWG) Nr. 1408/71 oder VO (EG) Nr. 987/2009 verfügen.

Der Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatlich Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer an den Beklagten zu zahlen. Den Beitragseinzug regelte im Anspruchszeitraum der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in seiner jeweiligen Fassung.

Die Klägerin ist ein in Portugal ansässiges Bauunternehmen, welches mit aus Portugal entsandten Arbeitnehmern Bauleistungen in Deutschland erbringt. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass die Klägerin mit den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern dem Geltungsbereich des VTV unterfällt und deshalb die Verpflichtung der Klägerin besteht, an den Beklagten Urlaubskassenbeiträge zu zahlen.

Im August 2007 blieben 6 portugiesische gewerbliche Arbeitnehmer, die in Portugal bei dem für sie zuständigen A. angemeldet und die von der Klägerin auf Baustellen in Deutschland eingesetzt waren, an 38 Tagen wegen unverschuldeter Krankheit arbeitsunfähig der Arbeit fern. Diesen 6 Arbeitnehmern hatte der zuständige Träger der portugiesischen Sozialversicherung nach Art. 11 der VO (EWG) 574/72 bescheinigt, dass für sie für die Dauer ihrer Tätigkeit in Deutschland seine sozialversicherungsrechtlichen Rechtsvorschriften weiter gelten. Nach einer Karenzzeit von 3 Tagen erhielten die 6 Arbeitnehmer von der A. Krankengeld und darüber hinaus von der B. ein Verletztengeld nach portugiesischem Recht. Die Klägerin leistete entsprechend portugiesischem Recht während der krankheitsbedingten Fehltage an die 6 Arbeitnehmer keine Vergütung. Nachdem der Beklagte die Monatsmeldungen der Klägerin für den Monat August 2007 überprüft hatte, gelangte er zu dem Ergebnis, dass den 6 ...

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