Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung. Bereitschaftsdienst. Rufbereitschaft. Arbeitsbereitschaft. Abgrenzung
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 67 Nr. 10 BMT-G II einerseits und § 67 Nr. 32 BMT-G II andererseits unterscheiden sich Ruf- und Arbeitsbereitschaft durch die unterschiedliche Bestimmung des Aufenthaltsorts. Bei der Rufbereitschaft bestimmt der Arbeitnehmer den Aufenthaltsort, bei der Arbeitsbereitschaft der Arbeitgeber.
2. Arbeitsbereitschaft kann auch vorliegen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, ohne dessen Aufenthaltsstelle konkret festzulegen, in der Wahl des Aufenthaltsorts dadurch einschränkt, dass er die Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit zeitlich eng begrenzt (wenige Minuten) und dem Arbeitnehmer dadurch die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit faktisch entzieht.
3. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber den Aufenthaltsort nicht durch eine Zeitvorgabe zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit festlegt, sondern durch die Vorgabe eines Entfernungsradius, der so eng gezogen ist, dass eine freie Aufenthaltsbestimmung seitens des Arbeitnehmers nicht mehr vorliegt, etwa bei der Vorgabe eines Radius von nur 10 km.
Normenkette
BMT-G II 16 I; BMT-G II 67 Nrn. 32, 10
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Urteil vom 31.05.2005; Aktenzeichen 5 Ca 47/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 31. Mai 2005 – 5 Ca 47/05 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.978,13 EUR (in Worten: Dreitausendneunhundertachtundsiebzig und 13/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14. Februar 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung für Bereitschaftsdienst.
Die Beklagte ist eine Gemeinde in der A. Der 1949 geborene Kläger ist nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 23. Juli 1988 bei der Beklagten als Arbeiter im Bauhof beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung.
Zum 01. April 2004 erließ die Beklagte eine Dienstanweisung über die Einführung von Bereitschaftsdienst, die u.a. folgende Regelungen enthält (Dienstanweisung Nr. 2/2004; Bl. 7, 8 d.A.):
„Bereitschaftsdienst
Mit der Einführung einer neuen Organisation für den Bauhof zum 01. April 2004 wird gleichzeitig ein Bereitschaftsdienst eingerichtet. Dieser „Notdienst” ist im Zusammenhang mit der Übernahme des „Bereitschaftshandys” wahrzunehmen.
Der Bereitschaftsdienst beginnt und endet grundsätzlich jeweils montags mit Dienstbeginn und der Weitergabe des Handys. Der Mitarbeiter im Bereitschaftsdienst hat das Handy ständig mitzuführen und jederzeit einsatzbereit zu sein. Der Radius der Entfernung vom Einsatzort (Bauhof, …straße) darf max. 10 km betragen.
Der Bereitschaftsdienst ist durch die in der Arbeitsgruppe 1 Tätigen, die übrigen Vorarbeiter und den Leiter des Bauhofes sicherzustellen. Das Nähere regelt der Leiter des Bauhofs.
Für die Wahrnehmung des Bereitschaftsdienstes wird eine Zulage von EUR 80,00 je Bereitschaftswoche gewährt. Die wöchentliche Pauschale ist nachträglich auf dem Tages-Arbeitszettel geltend zu machen.
Bei einem tatsächlichen Tätigwerden werden die entsprechenden Zuschläge anerkannt.
Leitbild
Der Bereitschaftsdienst (auch „Entstörungsdienst”, „Stördienst”, „Rufbereitschaft”) hat insbesondere folgende Aufgaben:
- Entgegennahme von Meldungen rund um die Uhr.
- Jederzeitige Beseitigung von Störungen und Gefahren.
- Schadensbekämpfung und Verhinderung von Folgeschäden.
(…)”
In der Zeit vom 21. Juni 2004 bis 16. August 2004 (Sommerarbeitszeit) leistete der Kläger, der der Arbeitsgruppe 1 „Ver- und Entsorgung”) zugewiesen war, insgesamt 190 Stunden und 24 Minuten, vom 11. Oktober bis 08. November 2004 (Winterarbeitszeit) leistete der Kläger 131 Stunden und 44 Minuten Bereitschaftsdienst.
Mit Schreiben vom 01. November 2004 machte der Kläger eine Teilforderung auf Zahlung der tariflichen Vergütung für Bereitschaftsdienst geltend. Die Beklagte teilte ihn daraufhin nicht mehr für den Bereitschaftsdienst ein. Mit Schreiben vom 30. November 2004 bezifferte der Kläger seine auf der Grundlage von Arbeitsbereitschaft im Sinn von § 16 Abs. 1 BMT-G II errechnete Forderung auf EUR 4.378,30, von der er die seitens der Beklagten geleistete Zulage von insgesamt EUR 400,00 in Abzug brachte. Die Richtigkeit dieser Berechnung ist zwischen den Parteien nicht streitig.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei dem von der Beklagten angeordneten Bereitschaftsdienst handele es sich um Arbeitsbereitschaft im Sinn der §§ 16 Abs. 1, 67 Nr. 10 BMT-G II. Dadurch, dass während des Bereitschaftsdienstes der Radius der Entfernung vom Einsatzort max. 10 km betragen dürfe, bestimme der Arbeitgeber die Stelle, an der sich der Mitarbeiter während des Bereitschaftsdienstes zur Verfügung zu halten habe, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.
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