Entscheidungsstichwort (Thema)
Surrogatstheorie. Urlaubsabgeltung. Urlaubsabgeltung [§ 25 MTV-DP AG]. Festhaltung an der Surrogatstheorie
Leitsatz (amtlich)
An der Aufgabe der Surrogatstheorie für den gesetzlichen Mindesturlaub ist auch nach der Entscheidung des EuGH vom 22.11.2011 festzuhalten.
Die tarifliche Regelung in § 25 MTV-DP AG lässt nicht hinreichend deutlich erkennen, dass die Tarifvertragsparteien vom Grundsatz des Gleichlaufs von gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichen Mehrurlaub bei der Urlaubsabgeltung abweichen wollten.
Normenkette
BUrlG § 7 Abs. 3-4; MTV-DP AG § 25
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 13.04.2011; Aktenzeichen 6 Ca 2449/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 13. April 2011 - 6 Ca 2449/10 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 839,52 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Urlaubsabgeltungsanspruch.
Der am A geborene, verheiratete Kläger war vom 3. Juni 2002 bis 31. Dezember 2007 bei der Beklagten als Paketzusteller beschäftigt. Er bezog zuletzt ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.765,88 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden, verteilt auf eine Sechstagewoche. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Tarifverträge für Arbeitnehmer der B in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Ab dem 18. November 2006 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt; in der Zeit vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2010 erhielt er Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt zum 31. Dezember 2007. Gegen die Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. In der Klageschrift heißt es:
"Wir machen die klägerischen Entgeltansprüche hiermit für den Fall des Annahmeverzugs geltend. Dies bezieht sich auf das entgangene Entgelt sowie die sonstige Leistungen wie Urlaub, Urlaubsentgelt, Urlaubsabgeltung, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen."
In der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2008 schlossen die Parteien nach streitiger Verhandlung einen Vergleich, in dem es u.a. heißt:
"1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet auf Grund ordentlicher fristgerechter Kündigung der Beklagten vom 14. September 2007 am 31. Dezember 2007 aus krankheitsbedingten Gründen.
2. Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß bis zum 31. Dezember 2007 ab und zahlt die Nettobeträge, soweit noch nicht geschehen und soweit nicht auf Dritte übergegangen, an den Kläger aus."
Mit Schreiben vom 20. Mai 2009 verlangte der Kläger vergeblich die Abgeltung des Urlaubs für das Urlaubsjahr 2007/2008.
Mit der vorliegenden Klage, die der Beklagten am 29. Dezember 2010 zugestellt worden ist, verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat gemeint, er habe einen Abgeltungsanspruch für den vom 1. April bis 31. Dezember 2007 entstandenen Urlaubsanspruch von 36 Tagen.
Der Kläger hat nach teilweiser Klagerücknahme beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.518,56 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Januar 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat gemeint, der Urlaubsanspruch sei verfallen, weil der Kläger bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht arbeitsfähig geworden sei. Die tarifliche Regelung stehe der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG nicht entgegen, weil die Arbeitnehmer gemäß § 25 Abs. 17 Unterabsatz 2 MTV- C während der Arbeitsunfähigkeit Urlaub nehmen könnten. Eine richtlinienkonforme Auslegung finde dort ihre Grenze, wo eine eindeutige eigenständige tarifliche Regelung vorliege. Es müsse daher bis zu einer tariflichen Neuregelung bei der bisherigen Regelung einschließlich der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BAG zum Verfall des Urlaubsanspruchs bleiben. Es sei jedenfalls Vertrauensschutz zu gewähren, weil die Tarifnorm des § 25 Abs. 10 MTV- C vom BAG mehrfach als rechtmäßig beurteilt worden sei und weil die Nachzahlung von Urlaubsabgeltung das Unternehmen erheblich belasten würde. Jedenfalls sei der Urlaubsabgeltungsanspruch sei gemäß § 38 Abs. 2 MTV- C verfallen; die Geltendmachung in der Kündigungsschutzklage wahre die Ausschlussfrist nicht, weil bei Klageerhebung der Anspruch noch nicht bestanden habe.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat der Klage durch Urteil vom 13. April 2011 - 6 Ca 2449/10 - teilweise in Höhe von 1.679,04 Euro stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe ein Abgeltungsanspruch für den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen, nicht aber für den tariflichen Mehrurlaub zu. Dem Urlaubsabgeltungsanspruch stehe weder die Arbeitsunfähigkeit noch die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente entgegen. Der Urlaubsanspruch sei nicht desh...