keine Angaben zur Rechtskraft

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozessvergleich. Wirksamkeit. Geschäftsunfähigkeit. Vollmacht. Zurechnung. Willensmängel. Darlegungslast

 

Leitsatz (amtlich)

1) Der Kläger hat behauptet, er sei zum Zeitpunkt des Abschlusses eines Prozeßvergleichs aufgrund einer Lebensmittelintoxikation geschäftsunfähig gewesen.

2) Zum Begriff der Weisung in § 166 Abs. 2 BGB.

3) Die vorübergehende Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen ist für die Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB ohne Bedeutung, solange sie nicht in bösgläubiger Weise zur Umgehung des Schutzes des Geschäftsgegners eingesetzt wird.

4) Zur Darlegungslast bei vorübergehender Geschäftsunfähigkeit.

 

Normenkette

BGB § 166 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.06.2005; Aktenzeichen 8 Ca 656/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juni 2005 – 8 Ca 656/04 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs.

Der 45-jährige, unverheiratete, einem minderjährigen Sohn unterhaltsverpflichtete Kläger war vom 01. November 2000 bis 30. September 2003 in einem befristeten Arbeitsverhältnis bei der Beklagten beschäftigt. Mit einem weiteren Vertrag vom 05. August 2003 vereinbarten die Parteien für die Zeit vom 01. Oktober bis 31. Dezember 2003 eine (weitere) befristete Beschäftigung des Klägers. Als Befristungsgrund wurde im Arbeitsvertrag angegeben, dass die Haushaltsmittel (Projektmittel) nur für die Zeit bis 31. Dezember 2003 bewilligt wurden; insoweit wird auf den Arbeitsvertrag Bl. 7, 8 d.A. Bezug genommen.

Mit seiner am 20. Januar 2004 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage machte der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung geltend und begehrte seine Weiterbeschäftigung.

Im Kammertermin am 20. Juli 2004 schlossen die Parteien einen Prozessvergleich, demzufolge das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2003 endete und der Kläger eine Abfindung in Höhe von EUR 15.000,00 erhält; insoweit wird auf Bl. 115 d.A. verwiesen.

Dem Vergleichsschluss war eine Sitzungsunterbrechung vorausgegangen, in der der Kläger in einem Gespräch mit seinem Prozessbevollmächtigten von seiner ursprünglichen Vorstellung, das Arbeitsverhältnis nur bei einer Abfindung von EUR 22.000,00 bzw. EUR 21.000,00 beenden zu wollen, Abstand nahm und sich mit einer möglichen Vergleichssumme von EUR 15.000,00 einverstanden erklärte.

Nach Schluss der Verhandlung trat der Kläger mit dem Zug die Heimreise zu seinem Zweitwohnsitz in A an, die er in B unterbrach, um einen Arzt aufzusuchen. Unter dem 27. Juli 2004 erstellte der niedergelassene Arzt für Allgemeinmedizin C dem Kläger folgende ärztliche Bescheinigung aus:

„Herr D stellte sich am 20. Juli 2004 in meiner Praxis vor.

Diagnosen: hochfieberhafter Allgemeininfekt, massive Kreislaufstörung bei Hypotonie V.a. Lebensmittelintoxikation

Aufgrund obiger Diagnosen und des erhobenen Befundes ist davon auszugehen, dass Herr D bei der Gerichtsverhandlung am 20. Juli 2004 zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr geschäftsunfähig war, damit also nicht in der Lage war, die Tragweite für ihn wichtiger Entscheidungen zu überblicken.”

Der Kläger hat behauptet, am 20. Juli 2004 während der Gerichtsverhandlung vor dem Arbeitsgericht geschäftsunfähig gewesen zu sein. Er hat die Auffassung vertreten, der geschlossene Prozessvergleich sei deshalb unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 20. Juli 2004 nicht beendet worden ist;
  2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 2003 hinaus fortbesteht;
  3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Referent im Angestelltenverhältnis weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 20. Juli 2004 beendet worden ist;

sowie hilfsweise für den Fall des Unterliegens,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger müsse sich die Erklärungen seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Deshalb sei der Vergleich wirksam. Unabhängig von der Frage der entsprechenden Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB lägen die Voraussetzungen des § 105 Abs. 2 BGB hier jedenfalls nicht vor. Aus dem Attest von Herrn C gehe nicht hervor, ob der attestierte hochfieberhafte Allgemeininfekt sowie die massive Kreislaufstörung und der Verdacht auf Lebensmittelintoxikation vorgelegen haben und insbesondere ob sie auch tatsächlich zu der behaupteten vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit bei dem Kläger geführt haben. Erforderlich sei insoweit das Vorliegen einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit, die zu einem völligen Ausschluss der freien Willensbestimmung geführt haben müsse. Das Vorliegen dieser schweren Bewusstseinsbeeinträchtigungen sei weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei den Verhandlungen zwischen d...

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