Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers wegen Ablehnung einer Wiedereingliederungsmaßnahme eines schwer behinderten Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Durch die Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme durch den Arbeitgeber kann sich dieser gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig machen.
2. Dabei ist der beim Arbeitnehmer eintretende Schaden unter Berücksichtigung der Zwecksetzung des § 84 SGB IX zu ermitteln.
3. Allein die Tatsache, dass § 84 SGB IX selbst keine Rechtsfolgenbestimmung umfasst, rechtfertigt nicht die Annahme einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit eines Gesetzesverstoßes.
4. Deswegen ist die Ermittlung des Schadens bei einer unberechtigten Ablehnung der Wiedereingliederungsmaßnahme auf der Grundlage der Zwecksetzung des § 84 SGB IX vorzunehmen.
5. Der Arbeitnehmer hat daher Anspruch auf die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert sein Vermögen ohne Eintritt der Ablehnung der Wiedereinsetzungsmaßnahme und dem tatsächlichen Wert seines Vermögens. Dies umfasst das Arbeitsentgelt das der schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer zeitlich früheren Herstellung seiner Arbeitsunfähigkeit verdient hätte.
Normenkette
SGB IX § 84; BGB §§ 249 ff.; SGB IX § 81
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 03.11.2016; Aktenzeichen 21 Ca 3522/16) |
Nachgehend
Tenor
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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 03.11.2016 - 21 Ca 3522/16- abgeändert und im Tenor wie folgt gefasst:Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.393,49 EUR (in Worten: Achttausenddreihundertdreiundneunzig und 49/100 Euro) brutto abzüglich gezahlten Krankengeldes in Höhe von 1.693,81 EUR (in Worten: Eintausendsechshundertdreiundneunzig und 81/100 Euro) netto und Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.783,35 EUR (in Worten: Eintausendsiebenhundertdreiundachtzig und 35/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.05.2016 zu zahlen.
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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
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Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zutragen.
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Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Schadensersatz.
Die Parteien haben am 15.10.1991 einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Seither wird der Kläger als technischer Angestellter beschäftigt. Seit dem 01.12.2006 gehört er dem Straßenverkehrsamt an und erhält Entgelt der Entgeltgruppe 12 TVöD, was einem Monatsbruttogehalt in Höhe von Euro 5.195,97 entspricht.
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Seit dem 01.10.2005 ist der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) an die Stelle des BAT getreten. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde entsprechend übergeleitet.
Der Kläger ist Inhaber der Stelle XXXXXX-XXXX, technischer Angestellter und gehört der Organisationseinheit XX.XX.X Planung und Realisierung verkehrstechnischer Projekte an und wird mit folgenden Tätigkeiten betraut:
Ingenieurmäßige Planung, Koordinierung, Überwachung, Bewirtschaftung und Abnahme von Baumaßnahmen im Bereich von verkehrstechnischen Projekten in Eigen- und Fremdplanung gemäß den Richtlinien zum Ablauf in der Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation von Bauwerken der Stadt B mit Wahrnehmung der Bauherrenfunktion und der hoheitlichen Aufgaben bei Fremdplanungen.
Gemäß dem Bescheid des Versorgungsamtes vom 15.07.2004 wurde ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Dieser erhöhte sich gemäß Bescheid vom 26.09.2005 auf 50. Seither ist der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Mit Bescheid vom 24.03.2015 hat sich der festgestellte Grad der Behinderung auf 70 erhöht. Wegen der Einzelheiten des Bescheides und den darin niedergelegten Funktionsbeeinträchtigungen wird auf die Anlage K 2 (Bl. 5 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger war vom August 2014 bis zum 06.03.2016 arbeitsunfähig erkrankt.
Der Kläger hat sich über Jahre hin weg immer wieder der Arbeitsmedizin vorgestellt. Die Gutachten haben zunehmende Einschränkungen in der Einsatzfähigkeit ergeben und zuletzt eine negative Prognose hinsichtlich der Entwicklung der krankheitsbedingten Ausfallszeiten gestellt. Am 28.04.2015 fand auf Einladung des Straßenverkehrsamtes hin ein gemeinsames Gespräch mit dem Kläger, seiner Vertrauensperson, einer Mitarbeiterin des Integrationsfachdienstes, dem Verwaltungsleiter sowie der Personalstellenleiterin des Straßenverkehrsamtes statt. Der Kläger hat in diesem Gespräch mit Nachdruck deutlich gemacht, dass er sich eine Rückkehr in seinen bisherigen Arbeitsbereich als Bauleiter vorstelle.
Auf der Grundlage eines erneuten Gesprächsangebots der beklagen Stadt vom 9.12.2015 wurde ein Verfahren des Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) in Gang gesetzt. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage B 8 zum Schriftsatz der Beklagten vom 15.8....