Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblichkeit von Betriebsvereinbarungen für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Ablösung von Versorgungsregelungen. Anhebung der festen Altersgrenze. Einführung eines versicherungs-mathematischen Abschlags
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Betriebsvereinbarung betreffend Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geschlossen, die eine ältere Betriebsvereinbarung ablösen soll, so gilt nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern die sogenannte Zeitkollisionsregel (Ablöseprinzip). Das bedeutet, dass die jüngere Norm die ältere mit Wirkung für die Zukunft ersetzt.
2. Die Ablösung von Betriebsvereinbarungen, die Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung zum Gegenstand haben, ist jedoch nur unter Beachtung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zulässig. Evtl. Einschnitte in Versorgungsrechte müssen den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Danach kann der unter Geltung der bisherigen Ordnung und in dem Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, 5 S. 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag nur in seltenen Ausnahmefällen aus zwingenden Gründen entzogen werden. Zuwächse, die sich - wie etwa bei entgehaltsbezogenen Zusagen - dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik) können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in diensteitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe.
3. Wird durch die Anhebung der Altersgrenze in die Höhe der Versorgungsanwartschaften eingegriffen, so liegt ein Eingriff in künftige und damit noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse vor. Ein solcher Eingriff ist jedoch jedenfalls dann durch sachlich-proportionale Gründe gerechtfertigt, wenn dadurch die bislang gemäß einer früheren Betriebsvereinbarung vorgesehenen unterschiedlichen Altersgrenzen für Frauen und Männer vereinheitlicht werden.
Normenkette
BetrAVG § 2 Abs. 1, 5; EWG Art. 119
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 22.01.2014; Aktenzeichen 11 Ca 1524/13) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Wiesbaden vom 22. Januar 2014 - 11 Ca 1524/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte den seit 01. Januar 1996 erworbenen Teil der Betriebsrente des Klägers kürzen darf um 0,4 % für jeden Monat, den die Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird.
Der am 12. April 1953 geborene Kläger trat am 01. April 1980 in die Dienste der Beklagten. Die Beklagte gewährt ihren Arbeitnehmern betriebliche Altersversorgung gemäß den darüber geschlossenen Betriebsvereinbarungen. Die Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung vom 21. April 1972 wurde zuletzt abgelöst durch die Betriebsvereinbarung vom 23. Dezember 1992 (Anlage BB 1 zur Berufungserwiderungsschrift, Bl. 160 ff. d. A.), durch die Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995 (vgl. Anlage 2 zur Klageerwiderung Bl. 57 ff. d. A.) und durch die Betriebsvereinbarung vom 07. Dezember 2001 (vgl. Anlage 3 zur Klageerwiderung Bl. 70 ff. d. A.).
In der Betriebsvereinbarung vom 23. Dezember 1992 heißt es u. a.:
"§ 1 Altersversorgung
...
(2) Ein Anspruch auf Leistungen entsteht, wenn der Arbeitnehmer spätestens am letzten Tag des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet ist, ununterbrochen 10 Jahre in einem Arbeitsverhältnis zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft gestanden hat und aus dem Dienst zur Kasse wegen Alters-, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ausgeschieden ist.
...
§ 2 Leistungsarten
Die Kasse erbringt ihren Arbeitnehmern und deren Hinterbliebenen im Versorgungsfall wiederkehrende Leistungen als
a) Altersrente
b) Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente
c) Witwenrente / Witwerrente
d) Waisenrente.
Zu a) Altersrente:
Eine Betriebsrente wird gewährt, wenn der Arbeitnehmer aus der Kasse ausscheidet und zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf eine Altersrente in voller Höhe (Vollrente) aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat oder haben würde, wenn er nicht von der Beitragspflicht befreit wäre. ... Macht der Arbeitnehmer von der gesetzlichen Teilrente Gebrauch, besteht kein Anspruch auf Betriebsrente. ..."
§ 3 Leistungshöhe
(1) Die Betriebsrente beträgt nach 10-jähriger Anwartschaftszeit monatlich 8 von 100 der letzten Gehalts- bzw. Lohnzusage des Arbeitnehmers (Sockelbetrag).
Die Betriebsrente steigert sich für jedes nach der 10-jährigen Anwartschaftszeit vollendete Dienstjahr um 0,8 von hundert der Bemessungsgrundlage nach Abs. 1.
In der ablösenden Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995 heißt es auszugsweise wie folgt:
"§ 1 Anspruchsvoraussetzung
(1) Die Sozialkassen der Bauwirtschaft gewähren ihren Arbeitnehmer, mit denen bis einschließlich 31. Dezember 1995 ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde und die spätestens am 31. Dezember 1995 ihren Dienst angetreten haben, nach Maßga...