Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung von selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit bei einem im Home-Office EDV-Programme entwickelnden Bauingenieur
Leitsatz (amtlich)
Arbeitnehmer kann auch sein, wer in einem Home-Office EDV-Programme entwickelt, wenn er dabei auf das Bereitstellen der Programmierumgebung durch den Betriebsinhaber angewiesen ist, ein nicht abgrenzbares Werk im Rahmen eines EDV-Programms in Abstimmung mit weiteren Programmierern im Betrieb zu erstellen hat und daneben für vielfältige Nebenarbeiten, insbesondere zur Beantwortung vielfältiger Fachfragen auf dem Gebiet der IT herangezogen, worden ist.
Normenkette
BGB § 611; HGB § 84 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Entscheidung vom 27.02.2014; Aktenzeichen 3 Ca 357/13) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 27. Februar 2014 - 3 Ca 357/13 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 12. August 2013 aufgelöst worden ist.
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis anzusehen ist und dieses ggf. durch Kündigung der Beklagten beendet worden ist.
Zwischen den Parteien bestand zunächst seit dem 1. Mai 1989 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger, der ein Studium des Bauingenieurwesens an der Fachhochschule absolviert hatte, arbeitete auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 9 - 11 der Akte) als Bauingenieur/Programmierer für die Beklagte. Von Beginn des Arbeitsverhältnisses an war er mit der Pflege und Weiterentwicklung der von der Beklagten vertriebenen Statiksoftware beschäftigt. Mit Schreiben vom 4. Mai 1992 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:
"...als ich am 1. Mai 1989 bei ihnen das Beschäftigungsverhältnis begann, setzte ich mir als Ziel, spätestens am 1. Mai 1992 zu entscheiden, ob ich bei der X bleibe oder wieder nach Hannover ziehe. Ich entschloss mich vor allem aus persönlichen Gründen, das bisherige Arbeitsverhältnis bei der X aufzugeben. Ich kündige deshalb zum 1. Juli 1992 meinen Arbeitsvertrag. Dieser Entschluss ist mir nicht leicht gefallen. Weil ich in den vergangenen drei Jahren gerne bei der X gearbeitet habe, wäre ich an einer weiteren Beschäftigung als freier Mitarbeiter interessiert..."
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird verwiesen auf Bl. 212 der Akte.
Die Parteien setzten ihre Zusammenarbeit fort, wobei dieses formal als freies Mitarbeiterverhältnis ausgestaltet war. Ein schriftlicher Vertrag wurde zwischen den Parteien nicht geschlossen. Unter dem 19. Juni 1992 machte der Kläger in einem Fragebogen der Techniker Krankenkasse Angaben zu seinem Beschäftigungsverhältnis. Wegen der Einzelheiten dieses Fragebogens wird verwiesen auf Bl. 210 bis 211 der Akte.
Der Kläger arbeitete von zuhause in Langenhagen aus, das ca. 180 km vom Betrieb der Beklagten entfernt liegt.
Der Kläger war - wie seit 1989 - für die Pflege und Weiterentwicklung des Programms Statik der Beklagten zuständig. Seine Aufgabe bestand in den letzten Jahren darin, mathematische Kerne für baustatische Problemstellungen, sog. Berechnungskerne, zu programmieren. Er hatte sich jahrelang mit den speziellen Berechnungskernen in den Programmen der Beklagten beschäftigt und hatte hier ein Fachwissen aufgebaut.
Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass es dem Kläger grundsätzlich frei stand, seine Arbeitszeit frei einzuteilen. Während er zum Beispiel im Jahr 2001 nur 874,83 Stunden arbeitete, waren dies im Jahre 2007 1.621,19. Wegen eines Hausbaus arbeitete er z.B. in den Monaten Juli, September und Dezember 2011 jeweils weniger als 100 Stunden im Monat. Eine diesbezügliche Mitteilung machte er mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 und 17. Dezember 2011, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage B 9 und 10, Bl. 223 und 224, der Akte verwiesen wird. Er absolvierte - neben der Tätigkeit für die Beklagte - in dem Zeitraum von 1995 bis 2001 ein Studium der Bauinformatik an der Universität Hannover. Der Kläger hat eine Aufstellung über die Arbeitsstunden vorgelegt, bezüglich deren Einzelheiten auf Bl. 176 -186 der Akte verwiesen wird.
Es war Praxis zwischen den Parteien, dass der Kläger mitteilte, wann er in Urlaub ging. Ein Genehmigungsverfahren war in dieser Hinsicht nicht vorgesehen. Bezüglich der beispielhaft zu Akte gereichten Urlaubsmitteilungen wird verwiesen auf Bl. 220 bis 222. Akte. Uns...