Entscheidungsstichwort (Thema)
Direktionsrecht
Leitsatz (amtlich)
Es hält sich im Rahmen billigen Ermessens, wenn ein leitender Abteilungsarzt („Chefarzt”) einen ihm nachgeordneten Assistenzarzt nicht mehr alleine zum Bereitschaftsdienst einteilt, weil er auf Grund einer nachvollziehbaren Würdigung eines Vorfalls kein Vertrauen mehr zu dessen fachlichen Fähigkeiten hat.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1, § 315; BAT § 15a; BAT SR 2c Nr. 8
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Urteil vom 22.07.1993; Aktenzeichen 4 Ca 645/92) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts in Kassel vom 22. Juli 1993 – 4 Ca 645/92 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vor dem Hintergrund, daß der Kläger vom 1. Juli 1992 bis zum 31. Dezember 1993 in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus nicht zum ärztlichen Bereitschaftsdienst herangezogen wurde, um Vergütungsansprüche des Klägers.
Der am 15. April 1943 geborene Kläger ist Arzt ohne abgeschlossene Facharztausbildung. Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 3. Mai 1976 (AV, Bl. 84–86 d.A.) war er seit dem 18. Mai 1976 in dem damals von der Stadt K. unterhaltenen Stadtkrankenhaus in K. … als Assistenzarzt beschäftigt, jedenfalls zuletzt in der medizinischen Klinik I, deren leitende Abteilungsarzt („Chefarzt”) 1992 Prof. Dr. P. war. Gem. § 2 AV findet auf das Dienstverhältnis der Parteien u.a. der Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 (BAT) mit den für Ärzte geltenden Sonderregelungen, wobei Änderungen oder Ergänzungen vom Tage ihres Inkrafttretens an gelten sollten. Das Arbeitsverhältnis ist vor dem im Streit befindlichen Zeitraum auf die Beklagte übergegangen. Die Vergütung erfolgt nach Vergütungsgruppe I b BAT. Der Kläger wurde in der Vergangenheit, wie die anderen Ärzte der Abteilung auch, zum Bereitschaftsdienst herangezogen, und zwar durchschnittlich viermal im Monat, nämlich dreimal nachts mit je 16,5 Stunden in der Woche und einmal an einem Wochenende mit 21,5 Stunden, zusammen durchschnittlich 71 Stunden im Monat. Nach der von der Beklagten vorgelegten Aufstellung über die von dem Kläger durch die Bereitschaftsdienste erzielten Einkünfte (Bl. 26 d.A.) ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, daß der Kläger durch diese monatlich im Durchschnitt 1.813,71 DM brutto erzielte. Über die Pfingsttage 1992, an denen der Kläger mehrfach zum Bereitschaftsdienst eingeteilt war, kam es im Zusammenhang mit der Behandlung einer Patientin mit dem Mittel „Heparin” zu für diese lebensgefährlichen Komplikationen, für die der Chefarzt die Verantwortung Versäumnissen des Klägers anlastete. Ob das in der Sache richtig, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Auf ein Schreiben des Chefarztes an den Verwaltungsleiter der Klinik vom 12. Juni 1992 entband dieser oder der Chefarzt selbst den Kläger mit Schreiben vom 26. Juni 1992 von jeder eigenverantwortlichen ärztlichen Tätigkeit. Der Chefarzt teilte den Kläger nicht mehr zur Ableistung von Bereitschaftsdiensten ein. Auf die Gegenvorstellung der nochmaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 1. Juli 1992 (Bl. 7–10 d.A.) reagierte die Beklagte unter dem 16. Juli 1992 in der Weise, daß die Tätigkeit des Klägers künftig von den Ober- und Fachärzten in besonderer Weise zu überwachen sei und der Kläger Bereitschaftsdienst nur zusammen mit einem Oberarzt ausüben dürfe. Das wurde von der Beklagten unter dem 7. August 1992 dahingehend abgeändert, daß der Kläger den Bereitschaftsdienst nur mindestens gemeinsam mit einem Assistenzarzt mit Facharztausbildung ableisten dürfe (Bl. 32 d.A.). Auf die Anfrage der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 18. August 1992 (Bl. 33 u. 34 d.A.), ob diese Anordnung nur für den Kläger gelte, erteilte die Beklagte insoweit keine Antwort (Bl. 35 d.A.). Wegen Personalmangels leistete der Kläger daraufhin bis Ende 1993 tatsächlich keine Bereitschaftsdienste mehr.
Der Kläger hat den Chefarzt für nicht befugt gehalten, ihn in dieser Weise vom Bereitschaftsdienst zu entbinden; auch die Beklagte könne sich nicht ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung entziehen, indem sie die Regelung der Angelegenheit dem Chefarzt überlasse. Die allein ihm gegenüber getroffene Anordnung stelle eine Diskriminierung dar, da er für sie keinen Anlaß gegeben habe. Die Beklagte schulde ihm für die 5 Monate Juli bis November 1992 aus dem Gesichtspunkt des Annahme Verzugs die durchschnittliche Vergütung für Bereitschaftsdienste. Er hat mit der am 12. Dezember 1992 erhobenen Klage zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.068,55 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus 1.813,71 DM ergebenden Nettobetrag seit dem 30. Juli, 30. August, 30. September, 30. Oktober und 31. November 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der Kläger habe keinen Anspruch auf Heranziehung zum Bereitschaftsdienst. Sie habe am 5. August 1992 grundsätzlich festgelegt, daß im Bereitschaftsdienst neben...