Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Bürgenhaftung nach dem AEntG. Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG
Leitsatz (redaktionell)
Steht fest, dass ein vom Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragte anderer Unternehmer zur Ausführung des Auftrags Arbeitnehmer beschäftigt hat und macht der ULAK gegen den Unternehmer als Bürgen Beitragsansprüche geltend, so darf die dem Grunde nach gerechtfertigte Klage nicht mangels Feststellungen zur Höhe abgewiesen werden. Vielmehr müssen die Tatsacheninstanzen entweder zur Höhe der Urlaubskassenbeiträge Feststellungen treffen oder diese gemäß § 287 Abs. 2 ZPO ermitteln.
Orientierungssatz
Die Berufung des Klägers war zum Teil erfolgreich. Es handelt sich um einen Anwendungsfall einer Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO im Falle der Bürgenhaftung nach dem AEntG. Dabei ist der gesamte Akteninhalt und insbesondere die bisherige Beweisaufnahme ausgewertet worden. Das SokaSiG wurde dabei als wirksam angesehen. Auch der Verzugszinsanspruch wurde der ULAK zuerkannt.
Normenkette
SokaSiG § 7; VTV §§ 18, 22, 24; ZPO § 287 Abs. 2; AEntG a.F. § 1a; AEntG a.F. § 1
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 22.03.2017; Aktenzeichen 3 Ca 1990/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 22. März 2017 - 3 Ca 1990/10 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.520,08 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Januar 2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 26 % und die Beklagte 74 % zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen, für den Kläger wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Verpflichtung der Beklagten, als Bürgin nach dem AEntG Beiträge zum Sozialkassenverfahren des Baugewerbes zu entrichten.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, begehrt er von der Beklagten Zahlung von Beiträgen in Höhe von 11.447,04 Euro. Dabei handelt es sich um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in dem Zeitraum November und Dezember 2008.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein in der Baubranche tätiges Unternehmen. Sie beauftragte das italienische Bauunternehmen Fa. A, xxxx1 (Italien), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung italienischen Rechts (im Folgenden kurz Fa. A), mit der Erbringung von Rohbauarbeiten auf der Baustelle "Bürogebäude TG Fl.373/31 48 47, xxxx2". Die Fa. A entsandte in dem Zeitraum November und Dezember 2008 auf die angeführten Baustelle aus Italien gewerbliche Arbeitnehmer nach Deutschland. Diese verrichteten auf der Baustelle baugewerbliche Arbeiten, nämlich insbesondere Betonarbeiten. Die Arbeitnehmer waren mindestens im November 2008 an 15 Arbeitstagen und im Dezember 2008 an zwei Arbeitstagen tätig. Insgesamt wurden im Betrieb dieses Unternehmens arbeitszeitlich überwiegend Rohbauarbeiten erbracht. Die Fa. A zahlte keine Beiträge an den Kläger.
In dem zwischen der Beklagten und der Hauptschuldnerin geschlossenen Werkvertrag bzgl. des "Bauvorhabens xxxx2" (vgl. Bl. 94 - 98 der Akte) wurde unter Ziff. 1.2 geregelt, dass für die Abwicklung der Leistungen qualifiziertes Fachpersonal eingesetzt werde.
Gegen den Geschäftsführer der Fa. A, Herrn B, ist durch das Hauptzollamt (HZA) C ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt eingeleitet worden. Hinsichtlich der Einzelheiten des Schlussberichts des Hauptzollamts C vom 17. April 2009 wird verwiesen auf die Anlage K2 (Bl. 42 - 93 der Akte). Aufgrund dieser Ermittlungen ist Herr B mittlerweile durch das Amtsgericht München in dem Strafverfahren 1116 Ls 309 Js 47126/08 rechtskräftig verurteilt worden, wie der Klägervertreter in dem Kammertermin am 15. September 2017 mitteilte.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - sowie - 10 ABR 48/15 - entschieden, dass die AVE 2008 und 2010 sowie die AVE 2014 des VTV unwirksam sind. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE 2012 und 2013 unwirksam sind.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte als Bürgin für die ausgefallenen Beiträge der Fa. A hafte. Er habe die Höhe der Beiträge anhand der Meldungen nach § 18 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) berechnet. Dabei sei er davon ausgegangen, dass die Hauptschuldnerin ausschließlich beruflich qualifizierte Arbeitskräfte eingesetzt habe, deren Arbeit nach der Lohngruppe 2 zu vergüten sei. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Schlussbericht des Hauptzollamts C vom 17. April 2009 und a...