Leitsatz (amtlich)

Einzelfall einer außerordentliche Kündigung einer Chefärztin für Anästhesie wegen des Vorwurfs, sie habe ihre Pflicht zur Dokumention verletzt und leichtfertige Beschuldigungen gegenüber Kollegen

 

Normenkette

BGB § 626; HPVG § 79

 

Verfahrensgang

ArbG Hanau (Urteil vom 14.03.1996; Aktenzeichen 3 Ca 235/93)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.06.1998; Aktenzeichen 2 AZR 599/97)

 

Tenor

Die Berufung des deklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 14. März 1996 – Az: 3 Ca 235/93 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die am 04. April 1938 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte, im folgenden Klägerin genannt, ist seit dem 01. November 1973 beim Beklagten und Berufungskläger, im folgenden Beklagter genannt, in dessen Kreiskrankenhaus … als Chefärztin für Anästhesie beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung: die Klägerin ist in Vergütungsgruppe I eingruppiert. Ihre Jahresbruttovergütung belauft sich einschließlich aller Zulagen und Liquidationseinnahmen auf rund 296.000,00 DM.

Unter dem 05. Juli 1990 wurde der Klägerin eine Abmahnung wegen unkollegialen Verhaltens ausgesprochen. Dies geschah nach Differenzen mit dem damaligen Chefarzt für Chirurgie, dem der Beklagte im selben Zusammenhang fristlos kündigte.

Eine unter dem 27. August 1992 der Klägerin erteilte Abmahnung wurde aufgrund des vor dem Landesarbeitsgericht in Sachen 12 Sa 45/94 geschlossenen Vergleichs vom 30. Juni 1994 aus den Personalakten der Klägerin entfernt.

Am 30. März 1993 wurde im Rahmen einer Stationsbegehung der Anästhesie zur Kontrolle der Arzneimittelbestände festgestellt, daß im Betäubungsmittelbuch seit mehreren Wochen keine Eintragungen vorgenommen worden waren. Die daraufhin durchgeführte nachträgliche Dokumentation ergab keine Fehlbestände an Betäubungsmitteln. Mit Schreiben vom 02. September 1993 forderte der Beklagte die Klägerin zur Stellungnahme zu dem Vorwurf auf, sie habe die Eintragungen im Betäubungsmittelbuch nicht ausreichend kontrolliert, und kündigte deshalb eine Abmahnung an. Die Klägerin wies den Vorwurf mit Schreiben vom 13. September 1993 (Bl. 213 bis 215 d.A.) zurück.

Ab April 1993 wurden in anonymen, aus dem Kreiskrankenhaus … stammenden Anzeigen gegenüber der Staatsanwaltschaft … und in Presseveröffentlichungen Vorwürfe gegenuber dem Chefarzt der Chirurgie … und dem Oberarzt der Chirurgie … erhoben. In den daraufhin eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung (bis hin zur fahrlässigen Tötung) kam es auch zu Vorwürfen, Chirurgen hätten Operationen verspätet begonnen, es hätte deshalb unnötig lange Wartezeiten von Patienten gegeben. Auf Weisung der ärztlichen Leitung suchte daraufhin der Pfleger … 61 Anästhesieprotokolle heraus, die den Vorwurf überlanger Wartezeiten zwischen der Einleitung der Anästhesie und dem Operationsbeginn belegen sollten. Diese Protokolle überprüfte die Klägerin vor der Beschlagnahme durch die Polizei.

Am 08. Juli 1993 wurde die Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen gegen Herrn … als Zeugin vernommen und zu einzelnen Narkoseprotokollen befragt. Dabei bekundete sie unter anderem, es habe Beschwerden aus den Reihen der Ärzteschaft und des Pflegepersonais gegeben, weil Herr … zuspät zu Operationen kam. Wegen des Verlaufs der Vernehmung im ganzen und der von der Klägerin im einzelnen gemachten Aussagen wird auf das Vernehmungsprotokoll (Bl. 32 bis 54 d.A.) Bezug genommen.

In einer Dokumentation vom 29. Juli 1993 wies Oberarzt … den Vorwurf verzögerten Operationsbeginns zurück. Chefarzt … erstattete durch seinen Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 08. September 1993 unter anderem gegen die Klägerin und den Pflegedienstleiter Strafanzeige und bat den damaligen Ersten Kreisbeigeordneten … um dienstrechtliche Überprüfungen und Maßnahmen. Daraufhin führte das Rechtsamt des Beklagten zwischen dem 17. September und dem 29. September 1993 umfangreiche Befragungen der Mitarbeiter des Krankenhauses durch.

Mit Schreiben vom 22. September 1993. wegen dessen Inhalt im einzelnen auf Bl. 70 bis 83 d.A. Bezug genommen wird, teilte Oberarzt … dem damaligen Ersten Kreisbeigeordneten … mit, die Klägerin habe in fünf Fällen die Prämedikation unzureichend durchgeführt sowie in vier Fällen Änästhesieprotokolle gefälscht. Die Klägerin wurde daraufhin am 23. September 1993 von der Zeugin … mündlich zu der behaupteten Fälschung von Anästhesieprotokollen angehört (Protokoll Bl. 95 und 96 d.A.); die Anhörung wurde jedoch durch ein Telefonat unterbrochen. Nach der Unterbrechung wurde die Klägerin vom Dienst suspendiert. Mit Schreiben vom 26. September 1993 wurde die Klägerin vom Beklagten schriftlich um Stellungnahme zu folgenden Vorwürfen gebeten: Die Narkoseprotokolle der Patienten … und … seien nach den Operationen verfälscht worden: der Betäubungsmitt...

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