Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Schutz- und Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Keine Vertragsänderung durch die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz setzt voraus, dass eine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers in Bezug auf eine Leistung gegeben ist. Ist das Recht des Arbeitnehmers, neben seiner Tätigkeit noch eine Nebentätigkeit auszuüben, durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, besteht für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes kein Raum, da lediglich eine Norm - die Betriebsvereinbarung - vollzogen werden muss.
2. Gemäß § 241 Abs. 2 BGB kann jede Partei nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des Vertragspartners verpflichtet sein. Der Arbeitgeber ist daher gehalten, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragsparteien nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Daher kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer, der die Genehmigung zur Nebentätigkeit als Rechtsanwalt hat, bei der Zulassung bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer die Umsetzung der erteilten Genehmigung durch Abgabe entsprechender Erklärungen zu ermöglichen.
3. Die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers nach § 241 Abs. 2 BGB ist nicht geeignet, eine Änderung des Arbeitsvertrages herbeizuführen. Ist der Arbeitnehmer als Gewerkschaftssekretär eingestellt worden, nicht aber als Syndikusanwalt, kann die Vorschrift des § 241 Abs. 2 BGB nicht dazu herangezogen werden, dass der Arbeitgeber gegen seinen Willen Erklärungen abzugeben hat, die beim Arbeitnehmer durch Öffnung der Berufsausübung als Syndikusanwalt eine Arbeitsvertragsänderung bedeuten würde.
Normenkette
ZPO §§ 264, 894; BGB § 241 Abs. 2; BRAO § 46 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 25.07.2018; Aktenzeichen 10 Ca 48/18) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 25. Juli 2018 – 10 Ca 48/18 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Genehmigung einer Nebentätigkeit für den Kläger, als Rechtsanwalt tätig zu werden, als erteilt gilt.
Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main zu erklären: „ Herr A wird unwiderruflich die Ausübung des Anwaltsberufs gestattet. Für eilbedürftige und fristgebundene Tätigkeiten wird Herr A auch während der Arbeitszeit freigestellt.“
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 60%, die Beklagte 40% zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Genehmigung einer Nebentätigkeit als Rechtsanwalt, um eine dafür gegenüber der Rechtsanwaltskammer abzugebende Erklärung des Arbeitgebers und zusätzlich um einen Anspruch des Klägers, dass die Beklagte ihm eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ermöglicht.
Beklagte ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.
Der 1982 geborene, verheiratete Kläger, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, arbeitet seit dem 01. März 2013 für die Beklagte im Landesbezirk Hessen als Gewerkschaftssekretär mit Rechtsschutzaufgaben in Vollzeit (mit 35 Wochenstunden). In § 3 des Arbeitsvertrages ist vereinbart, dass auf das Vertragsverhältnis u.a. die „Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der ver.di“ (AAB) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden. Zur Wiedergabe des vollständigen Inhalts des Arbeitsvertrags der Parteien vom 14. Februar 2013 wird auf die Anlage K1 zur Klageschrift verwiesen (Bl. 23-25 d.A.).
Der Kläger wird als Gewerkschaftssekretär mit Rechtsschutzaufgaben nach der Entgeltgruppe EG 7 vergütet. Diese Tätigkeit und ihre Anforderungen gemäß § 2 Ziff. 3 Gesamtbetriebsvereinbarung „Entgeltsystem“ (GBV Entgelt) sind in der Anlage 1 der GBV, dort EG 7.3.4, beschrieben (vgl. Anlage B21 zum Schriftsatz der Beklagten vom 19. Juni 2018, Bl. 360 f. d.A.).
Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Einstellung durch die Beklagte als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main zugelassen. Mit Ablauf seiner erfolgreichen Probezeit bei der Beklagten gab er auf deren Aufforderung seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück (vgl. Schreiben der Beklagten vom 02. September 2013, Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 27 d.A.).
Mit zwei Schreiben vom 22. November 2017 beantragte der Kläger beim Landesbezirk Hessen, Personalabteilung, die Genehmigung einer selbständigen anwaltlichen Tätigkeit als Nebentätigkeit gemäß § 19 AAB (Anlage K3 zur Klageschrift, Bl. 28-30 d.A.) und die Unterzeichnung einer „Tätigkeitsbeschreibung als Syndikusrechtsanwältin / Syndikusrechtsanwalt“ (folgend: Tätigkeitsbesch...