Leitsatz (amtlich)
Angestellte, die mit pflegerischen Tätigkeiten in Altenpflegeheimen der Arbeiterwohlfahrt betraut sind, sind nicht mit Pflegepersonen vergleichbar, die Kranke in geriatrischen Abteilungen oder Stationen pflegen. Sie haben daher keinen Anspruch auf die Pflegezulage nach der Protokollnotiz Nr. 46 zum BMT-AW II.
Die Protokollnotiz ist insoweit identisch mit der Protokollnotiz Nr. 1 der Anlage 1 b zum BAT.
Das Gericht weicht in seiner Entscheidung von der Entscheidung des BAG vom 13.12.1973 – 4 AZR 213/73 – und des LAG Frankfurt am Main vom 4.1.1973 – 4 Sa 5/72 – (beide unveröffentlicht) ab.
Normenkette
Protokollnotiz Nr. 46 zum Bundesmanteltarifvertrag für Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II)
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 04.09.1985; Aktenzeichen 6 Ca 3357/85) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 4. September 1985 – 6 Ca 3357/85 – abgeändert.
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerinnen zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist die Zahlung einer tariflichen Zulage streitig.
Der Beklagte betreibt in W. das Alten- und Pflegeheim „R.-K.-Haus”. In diesem Betrieb sind beide Klägerinnen im Bereich der Altenpflege beschäftigt bzw. beschäftigt gewesen. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II) in der Fassung vom 1.11.1977 Anwendung.
Die Klägerin zu 1) ist gemäß Arbeitsvertrag vom 23.2.1984 (Bl. 10, 11 d.A.) mit Wirkung ab 8.2.1984 als Familienpflegerin beim Beklagten eingestellt worden. Sie erhält eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe AW-KrT III Stufe 2. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.6.1985.
Die Klägerin zu 2) ist gelernte Krankenschwester. Sie ist seit 1.7.1984 ebenfalls als Familienpflegerin beim Beklagten beschäftigt und erhält eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe AW-KrT IV Stufe 2.
Bezüglich beider Vergütungsgruppen verweist der Tarifvertrag auf die Protokollnotiz Nr. 46, die wie folgt lautet:
„Pflegepersonen der Vergütungsgruppen AW-KrT I bis AW-KrT VI, die ständig
- an Tuberkulose erkrankte Personen pflegen, die wegen ihrer Ansteckungsgefahr in besonderen Tuberkuloseabteilungen oder Tuberkulosestationen untergebracht sind,
- Kranke in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Opendoor-system) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen pflegen.
- Kranke in geriatrischen Abteilungen oder Stationen pflegen,
- in Abteilungen, Stationen oder Räumen Arbeit leisten, in denen ausschließlich Patienten untergebracht sind, die mit radioaktiven Stoffen behandelt werden,
- Kranke in Abteilungen oder Stationen für Patienten mit multipler Sklerose pflegen,
erhalten eine monatliche Zulage von 67,– DM für die Dauer dieser Tätigkeit.”
Die Klägerin hat vorgetragen, im „R.-K.-Haus” seien nur erhöht pflegebedürftige Personen der Pflegestufen III und IV untergebracht, den Klägerinnen stehe daher die Geriatrie-Zulage zu. Die Klägerin zu 1) habe Anfang 1985 die Zahlung der Geriatrie-Zulage geltend gemacht.
Die Klägerin zu 1) hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr 804,– DM brutto zu bezahlen.
Die Klägerin zu 2) hat beantragt,
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Geriatrie-Zulage von monatlich 67,– DM ab Juli 1984 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Geriatrie-Zulage könne nach der Protokollnotiz Nr. 46 nur im Rahmen der Krankenpflege gezahlt werden; nur Pflegekräfte in Krankenhäusern erhielten die Zulage. Das von ihm betriebene Altenpflegeheim sei kein Krankenhaus, sondern eine Einrichtung der Altenhilfe, die der umfassenden Pflege, Betreuung und Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen diene und darauf ausgerichtet sei, verbliebene Kräfte alter Menschen, insbesondere durch Maßnahmen der aktivierenden Pflege, zu üben und zu erhalten sowie eine Besserung des Allgemeinzustandes herbeizuführen. Die im Altenpflegeheim aufgenommenen Personen seien auch nicht krank, d. h., behandlungsbedürftig durch Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe. Vom Krankheitsbegriff seien alle regelwidrigen, jedoch durch ärztliche Maßnahmen nicht oder kaum beeinflußbaren Zustände auszuschalten, wie z. B. völlig stationäre, mit keinen Beschwerden verbundene Gebrechen oder sonstige irreversible Defekte. Es handele sich dabei um sog. „Pflegefälle”.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit seinem am 4.9.1985 verkündeten Urteil der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung u. a. ausgeführt, die im Altenpflegeheim des Beklagten untergebrachten Personen der Pflegeklassen III und IV seien Kranke i. S. der Protokollnotiz Nr. 46, das Altenpflegeheim sei als geriatrische Abteilung i. S. der Protokollnotiz anzusehen. Dies ergebe sich auch aus einem Vergleich mit den Regelungen des BAT. Dort gelte die gleichlautende Protokollnotiz Nr. 1 zur Anlage 1 b zum BAT auch für Pflegepersonal in Heil- und Pflegeanstalten, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung ste...