Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Fahrradlieferanten auf internetfähiges Diensthandy. Vertragliche Pflicht des Arbeitnehmers zur Anschaffung von Betriebsmitteln. Unangemessene AGB zur Anschaffungspflicht von Betriebsmitteln durch Arbeitnehmer. Unangemessene Benachteiligung von Fahrradlieferanten
Leitsatz (amtlich)
Fahrradlieferanten, die Speisen und Getränke an Kunden ausliefern, haben gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Stellung eines internetfähigen Mobiltelefons zur dienstlichen Nutzung, wenn der Arbeitsvertrag nicht wirksam etwas Abweichendes regelt. Der Anspruch folgt aus §§ 611 a, 615 S. 3, 618 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Vor dem Hintergrund der rechtlichen Anerkennung eines tatsächlichen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers kann dieser den Anspruch auf Stellung der zwingend zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Arbeitsmittel einklagen und kann nicht auf Ansprüche auf Annahmeverzugslohn verwiesen werden. Die Pflicht, ohne finanziellen Ausgleich zwingend notwendige Arbeitmittel von einigem Wert selbst stellen zu müssen, kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht wirksam begründet werden. Eine solche Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen.
Normenkette
BGB §§ 611a, 615 S. 3, §§ 618, 307, 242, 670; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 29.06.2020; Aktenzeichen 21 Ca 5470/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juni 2020 - 21 Ca 5470/19 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein internetfähiges Mobilfunkgerät samt Datennutzungsvertrag zur Verfügung zu stellen.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 70 % und die Beklagte 30 % zu tragen. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch in der Berufungsinstanz noch darum, ob die Beklagte dem Kläger zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant ein internetfähiges Mobiltelefon mit einem Datennutzungsvertrag zur Verfügung stellen muss.
Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 7. Februar 2016 als Fahrradlieferant beschäftigt und liefert als solcher Speisen und Getränke für die Beklagte aus, wobei ihm die Einsatzpläne und die Adressen der Restaurants, von denen er eine Lieferung ausfahren soll ebenso wie die Kundenadressen, per A App auf sein Smartphone mitgeteilt werden.
Der Kläger nutzt von Beginn des Arbeitsverhältnisses an für seine Tätigkeit sein eigenes Mobiltelefon.
Der Kläger und die Rechtsvorgängerin der Beklagten schlossen 2017 einen im Rechtstreit von den Parteien als „Pfandvertrag“ bezeichneten Vertrag über die Überlassung von Arbeitsmaterialien an den Kläger, bei dem der Kläger die Überlassung bestimmter Gegenstände durch den Arbeitgeber bestätigt hat und die Einbehaltung eines Pfands zur Absicherung der Rückgabe vereinbart wurde. Dort ist ein Mobiltelefon nicht genannt. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten verwendete insoweit einen Mustervertrag. Der Abschluss des Vertrags wurde im Berufungstermin unstreitig gestellt, er wurde aber nur einen Kollegen betreffend zur Akte gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 47 der Akte Bezug genommen.
Am 19. Januar 2018 schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Kläger einen bis zum 8. Februar 2019 befristeten schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 40 der Akte), der in § 2 Abs. 3 Folgendes regelt:
„Dem Arbeitnehmer wird ausschließlich für den Einsatz während der Schichten Equipment von B gestellt, die Art des Equipments ist im Pfandvertrag geregelt. Dafür wird ein Pfand vom Arbeitgeber einbehalten. Das Equipment ist unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzugeben.“
§ 16 Abs. 2 lautet:
„Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertragsverhältnisses bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch ausdrücklich für die Änderung oder Aufhebung der Schriftformklausel selbst. Ausgeschlossen sind damit insbesondere Vertragsänderungen durch betriebliche Übung.“
Unter dem 21. Juni 2018 schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag, der insbesondere die Arbeitszeit betrifft. Nach Ziff. VI des Vertrags bleibt der Vertrag vom 19. Januar 2018 im Übrigen unberührt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 40 der Akte Bezug genommen.
Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2020 insgesamt abgewiesen. Es hat im Hinblick auf die in der Berufungsinstanz noch allein streitige Frage, ob der Kläger für die Ausübung seiner Tätigkeit die Überlassung eines Mobiltelefons mit Datennutzungsvertrag verlangen kann, angenommen, die Parteien hätten zumindest konkludent die Vereinbarung getroffen, dass der Kläger ein Mobil...