Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG
Leitsatz (redaktionell)
Das SokaSiG ist insgesamt verfassungskonform. Insbesondere ist die damit einher gehende Rückwirkung ausnahmsweise gerechtfertigt, da ein schutzwürdiges Vertrauen der Norm unterworfenen Arbeitgeber in die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV nicht bestand.
Orientierungssatz
Es handelt sich um einen Einzelfall einer erfolgreichen Klage der ULAK gestützt auf das SokaSiG. Das Gesetz ist wirksam, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und daher anzuwenden. Eine Vorlage nach Art. 100 GG an das BVerfG kommt nicht in Betracht.
Normenkette
SokaSiG § 7; VTV-Bau §§ 15, 18
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 19.10.2017; Aktenzeichen 4 Ca 157/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 19. Oktober 2017 - 4 Ca 157/16 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Beiträgen zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, nimmt der Kläger den Beklagten nach Verbindung mehrerer Verfahren auf Zahlung von 87.070 Euro in Anspruch.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 8. Juni 2017 sind insgesamt sieben Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung der Akte 4 Ca 157/16 verbunden worden. Der Kläger ging im Rahmen einer sogenannten Mindestbeitragsklage davon aus, dass pro Monat mindestens zwei gewerbliche Arbeitnehmer und ein Angestellter beschäftigt worden sind. Es handelt sich im Verfahrensverbund um Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer in den Monaten Dezember 2010 bis Mai 2016 sowie für Angestellte in den Monaten November 2013 bis Juni 2016 und August 2016.
In dem streitgegenständlichen Zeitraum unterhielt der Beklagte unstreitig einen Baubetrieb im Tarifsinne.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 - (NZA Beilage 1/2017, 12 ff.) entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärung(en) (kurz: AVE) des VTV vom 15. Mai 2008 (BAnz. Nr. 104a 15. Juli 2008) sowie vom 25. Juni 2010 (BAnz. Nr. 97 2. Juli 2010) unwirksam sind. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag (10 ABR 48/15, AP Nr. 36 zu § 5 TVG) hat es entschieden, dass die AVE vom 17. März 2014 (BAnz. AT 19. März 2014 B1) unwirksam ist. Mit Beschlüssen vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - sowie 10 ABR 34/15 - hat das Bundesarbeitsgericht ferner entschieden, dass die AVE vom 3. Mai 2012 (BAnz. AT 22. Mai 2012 B4) und vom 29. Mai 2013 (BAnz. AT 7. Juni 2013 B5) unwirksam sind.
Daraufhin ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Stützung des Sozialkassenverfahrens im Baugewerbe initiiert worden. Der Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 18/10631) ist von den Fraktionen der CDU/CSU sowie der SPD am 13. Dezember 2016 vorgelegt worden. Der Deutsche Bundestag hat am 26. Januar 2017 das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: SokaSiG) verabschiedet. Es sieht vor, dass der VTV in seiner jeweiligen Fassung rückwirkend bis zum Jahr 2006 ohne Rücksicht auf eine AVE "gelten" soll. Das Gesetz ist am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlich worden (BGBl. I Nr. 29, S. 1210 ff.) und am 25. Mai 2017 ausweislich dessen § 14 ohne eine Übergangsvorschrift in Kraft getreten.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte zur Zahlung der Beiträge verpflichtet sei. Das SokaSiG hält er für wirksam.
Der Kläger hat im Termin am 8. Juni 2017 die Klageforderung in Bezug auf die Angestelltenbeiträge Juli 2016 teilweise zurückgenommen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 87.070 Euro zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat gemeint, er sei nicht zur Beitragszahlung verpflichtet. Infolge der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts gebe es keine wirksame Rechtsgrundlage mehr. Das SokaSiG sei verfassungswidrig, die darin enthaltene Rückwirkung sei nicht zulässig. Überragende Belange des Gemeinwohls würden nicht tangiert. Unzutreffend sei, dass die Akteure von der Wirksamkeit der Erstreckung des Sozialkassenverfahrens ausgegangen seien. Vielmehr sei es so, dass bereits viele Jahre von verschiedenen Unternehmen und Rechtsanwälten die Unwirksamkeit der AVE geltend gemacht worden sei. Bei den vom Bundesarbeitsgericht festgestellten Mängeln handele es sich nicht um bloß formale Mängel, sondern um materiell-rechtliche Fehler. Dies könne nicht im Nachhinein korrigiert werden. Es sei nicht ersichtlich, dass im Falle von Rückforderungsansprüchen ernsthaft die Befürchtung bestanden habe, dass die Sozialkasse die Insolvenz habe fürchten müssen. Das SokaSiG verstoße auch gegen das Verbot eines...