Entscheidungsstichwort (Thema)
geringfügig Beschäftigte. mittelbare Diskriminierung
Leitsatz (amtlich)
Eine tarifvertragliche Regelung, die für geringfügig Beschäftigte einen niedrigeren Stundenlohn vorsieht als für vergleichbare andere Arbeitnehmer muss nicht gegen Art. 3 Abs. 2 GG, Art. 141 EGV oder Art. 4 Richtlinie 75/117/ EWG verstoßen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 2; EGVtr Art. 141; Richtlinie 75/117 EWG
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 15.03.2000; Aktenzeichen 7 Ca 1206/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15.03.2000 – Az. 7 Ca 1206/99 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Für die Klägerin wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht tarifliche Vergütungsansprüche geltend.
Sie ist aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages, auf dessen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 19 f. d. A.) und demzufolge zwischen den Parteien die jeweiligen Tarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer gelten, als Unterhaltsreinigerin geringfügig beschäftigt. In Anwendung des für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereinigerhandwerk vom 22.09.1995 (RTV) und des Lohntarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk in Hessen vom 11.05.1998 erhielt die Klägerin bis einschließlich März 1999 als Stundenlohh 15,23 DM, der ohne Abzüge ausgezahlt wurde, da die Beklagte die anfallende Lohnsteuer pauschal abführte.
Im Hinblick auf das zum 01.04.1999 in Kraft tretende Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, das die Arbeitgeber für den Regelfall zur Zahlung von Rentenversicherungs- und Krankenversicherungs-Beiträgen verpflichtet (§ 168 Abs. 1 SGB VI bzw. § 249 b SGB V), vereinbarten die zuständigen Tarifvertragsparteien des RTV am 22.03.1999, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis i. S. von § 8 Abs. 1 SGB IV für die Zeit vom 01.04.1999 bis zum 30.04.2000 nur noch 82 % des jeweiligen Ecklohnes als Stundenlohn zu zahlen sind. Dementsprechend zahlte die Beklagte an die Klägerin für die 44 im Monat April 1999 geleisteten Stunden nicht mehr 670.12 DM (44 × 15.23 DM), sondern nur noch 531.23 DM.
Die Klägerin hat gemeint, mit der Regelung vom 22.03.1999 hätten die Tarifvertragsparteien gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG und das Lohngleichheitsgebot des Art. 141 EGVertrag verstoßen. Auch wenn ihre Vergütung unstreitig hinsichtlich des Nettobetrages noch über derjenigen von nicht nur geringfügig beschäftigten lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern liege, werde sie durch die Neuregelung benachteiligt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 138,89 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt.
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien hätten mit der Ergänzung vom 22.03.1999 lediglich in berechtigter Weise auf das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.03.1999 reagiert.
Mit am 15.03.2000 verkündetem Urteil hat das Arbeitsgericht Wiesbaden – 7 Ca 1206/99 – der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Ergänzungstarifvertrag vom 22.03.1999 gegen § 32 SGB I verstoße und deshalb nichtig sei. Die Tarifvertragsparteien hätten mit ihm versucht, die gesetzliche Neuregelung zu umgehen und die Sozialversicherungspflicht auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. Weiter hat es zur Begründung festgestellt, dass der Ergänzungstarifvertrag unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Diskriminierung auch gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoße. Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils (Bl. 30 bis 34 d. A.) Bezug genommen.
Gegen das ihr am 17.03.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.04.2000 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.06.2000, am 06.06.2000 begründet.
Sie meint weiter, dass Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Regelung vom 22.03.1999 nicht begründet seien, da ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vorliege. Auch eine Umgehung von § 32 SGB I könne nicht angenommen werden, da die Klägerin – bezogen auf den Stundenlohn – netto immer noch mehr ausgezahlt erhalte als entsprechende nicht nur geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer. Die von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Neuverteilung der Lasten angesichts der gesetzlichen Neuregelung sei nicht zu beanstanden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15.03.2000 – 7 Ca 1206/99 – die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird ergänzend auf die Berufungsbegründung (Bl. 46 bis 50 d. A.) sowie auf die Berufungsbeantwortung (Bl. 53...