Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungskündigung. Versetzung im Rahmen des Direktionsrechts
Orientierungssatz
1. Eine „überflüssig” Änderungskündigung führt bei Annahme des mit der Änderungskündigung verbundenen Angebots unter Vorbehalt nicht zur Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
2. Zur Auslegung des Arbeitsvertrags der Parteien dahingehend, dass diese mit der Bezeichnung der Tätigkeit des Arbeitnehmers als Straßenbahnfahrer-Anwärter nur die erste, dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Einstellung übertragene Tätigkeit bezeichnet haben, ohne die künftige Übertragung einer anderen Tätigkeit auszuschließen (hier: Tätigkeit als Pförtner). Ein Bewerber um eine Stelle im Öffentlichen Dienst hat regelmäßig davon auszugehen, dass er grundsätzlich verpflichtet ist, jede ihm im Bereich des Arbeitgebers zugewiesene Tätigkeit auszuüben, die den Merkmalen seiner Vergütungsgruppe entspricht, soweit ihm diese Tätigkeit billigerweise zugemutet werden kann.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; GewO § 106 S. 1; KSchG § 2; BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
ArbG Kassel (Urteil vom 24.03.2011; Aktenzeichen 3 Ca 397/10) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 24.3.2011 – 3 Ca 397/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung mit sozialer Auslauffrist sowie darüber, ob die Beklagte aufgrund des Direktionsrechts berechtigt ist, den Kläger auf einen Arbeitsplatz als Pförtner zu versetzen.
Die Beklagte ist eine kommunale Verkehrsgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Der am XXX geborene, verheiratete Kläger ist seit 15.9.1980 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 26.6.1995 weist er einen GdB von 30 auf; seit 18.5.2007 ist er einem Schwerbehinderten gleichgestellt.
Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien vom 15.9.1980 (Blatt 6,7 der Akten) enthält u. a. folgende Regelungen:
§ 1
Herr K wird ab 15. September 1980 als Straßenbahnfahrer-Anwärter eingestellt und der BV 12 zugewiesen.
§ 2
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) vom 23. Mai 1953 mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an ihrer Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung.
§ 9 BMT-G II enthielt u. a. folgende Regelungen:
(1) Der Arbeiter hat die ihm übertragenen Arbeiten gewissenhaft und ordnungsmäßig auszuführen.
(2) Diese Arbeiten haben sich ihrer Art nach grundsätzlich in dem Rahmen zu halten, der bei Abschluss des Arbeitsvertrages ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart worden ist. Sofern es ihm billigerweise zugemutet werden kann und sein allgemeiner Lohnstandard dadurch nicht verschlechtert wird, hat der Arbeiter auch jede andere, seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Arbeit auszuführen. In Notfällen sowie aus dringenden Gründen des Gemeinwohls hat er vorübergehend jede ihm übertragene Arbeit zu verrichten, auch wenn sie nicht in sein Arbeitsgebiet fällt.
Inzwischen findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe vom 30.6.2010 (TV-N) Anwendung. Dessen § 3 Abs. 1 lautet:
Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragenen Aufgaben gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen. Er ist verpflichtet, den Anordnungen des Arbeitgebers nachzukommen.
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 15.10.1989 eine fristgerechte Änderungskündigung zum 31.3.1990 ausgesprochen hatte, vereinbarten die Parteien am 13.2.1990 in einem gerichtlichen Vergleich (Blatt 9,10 der Akten): „Der Kläger erklärt sich bereit, mit Wirkung vom 1.4.1990 als Fahrtausweisprüfer tätig zu werden.”
Bei der Beklagten sind insgesamt 20 sogenannte Produktspezialisten tätig, die in Gruppen zu je drei bis vier Arbeitnehmern Fahrgastprüfungen in Bussen und Straßenbahnen vornehmen.
Mit Schreiben vom 10.7.1991 beschwerten sich die Arbeitskollegen H und B über das Arbeitsverhalten des Klägers (Blatt 40 der Akten). Unter dem 15.12.2005 (Blatt 41 der Akten) lehnten sechs Arbeitskollegen des Klägers die Zusammenarbeit mit ihm ab. Mit Schreiben vom 9.2.2007 erteilte die Beklagte dem Kläger wegen diverser Vorfälle eine Abmahnung (Blatt 44,45 der Akten); hierzu nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter dem 9.3.2007 (Blatt 46 bis 49 der Akten) Stellung. Mit Schreiben vom 2.4.2009 (Blatt 51 der Akten) lehnte der Mitarbeiter G die Zusammenarbeit mit dem Kläger ab. Unter dem 13.10.2009 (Blatt 52 der Akten) lehnten vier Mitarbeiter die Zusammenarbeit mit dem Kläger ab. Der von der Beklagten hinzugezogene Integrationsfachdienst führte Gespräche mit 12 Kollegen des Klägers, über die sich die Zusammenfassung Blatt 54 bis 57 der Akten v...