Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang
Leitsatz (amtlich)
Verliert ein Unternehmen, das Dienstleistungen, u. a. Bewachungsaufträge, auf dem freien Markt anbietet, einen Auftrag nach Kündigung und Neuausschreibung an ein Konkurrenzunternehmen, so liegt hierin kein Übergang einer „auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit” im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zur Funktionsnachfolge und auch kein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB.
Normenkette
BGB § 613a; EWGRL 187/77
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Urteil vom 26.04.1995; Aktenzeichen 3 Ca 76/95) |
Nachgehend
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 26. April 1995 – 3 Ca 76/95 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung, die im wesentlichen davon abhängig ist, ob zuvor ein Betriebsübergang auf den Betrieb der Beklagten stattgefunden hat.
Der Kläger war seit Oktober 1991 bei der Streitverkündeten, der Firma …, als Wachmann beschäftigt. Seit September 1993 wurde der Kläger ausschließlich im Bewach ungsobjekt … eingesetzt. Der Bewachungsvertrag für die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wurde gegenüber der Streitverkündeten mit Wirkung zum 30. November 1994 gekündigt. Das Land Hessen schloß einen neuen Bewachungsvertrag für dieses Bewachungsobjekt mit der Beklagten ab.
Seit dem 01. Dezember 1994 war der Kläger nunmehr bei der Beklagten beschäftigt. Er nahm weiterhin Bewachungsaufgaben im Erstaufnahmelager wahr. Er erhielt zuletzt ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 3.229,74 DM.
Die Beklagte, bei der mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind, kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 08. Februar 1995 „innerhalb der Probezeit mit einer eintägigen Kündigungsfrist nach Zugang”. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 13. Februar 1994 zu. Bis einschließlich 14. Februar 1995 wurde der Kläger von der Beklagten beschäftigt. Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens vom 08. Februar 1995 wird auf die Kopie desselben (Bl. 4 d. A.) verwiesen.
Der Kläger hat in seiner am 20.02.1995 eingegangenen Klage die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sein ursprünglich zur Streitverkündeten begründetes Arbeitsverhältnis sei im Wege des Betriebsüberganges gem. § 613 a BGB auf die Beklagte übergegangen, so daß er die Wartezeit von sechs Monaten nach dem KSchG erfüllt habe.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 08.02.1995 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat in der Klageschrift mit Nichtwissen bestritten, daß der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden ist. Im Kammertermin hat die Beklagte erklärt, daß in ihrem Betrieb kein Betriebsrat gebildet worden sei. Daraufhin hat der Kläger erklärt, daß ihm nicht bekannt sei, ob im Betrieb der Beklagten ein Betriebsrat gebildet ist.
Der Kläger hatte gegen die Kündigung der Streitverkündeten vom 14.11.1994 unter dem Az.: 5 Ca 546/94 vor dem Arbeitsgericht Gießen geklagt. Dieser Rechtsstreit hat mit folgendem Vergleich geendet:
- „Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund der Entziehung des Bewachungsauftrages zum 30. November 1994 und der Übertragung des Bewachungsauftrages auf die Firma … ab dem 01. Dezember 1994 gegenüber der Beklagten zum 30. November 1994 sein Ende gefunden hat.
- Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger entsprechend den §§ 9, 10 KSchG i. V.m. § 3 Ziff. 9 EStG eine Abfindung in Höhe von 500,– DM (fünfhundert Deutsche Mark) zu zahlen.
- Die Parteien sind sich darüber einig, daß mit der Erfüllung des vorliegenden Vergleichs sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis erledigt sind.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.”
Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 26.04.1995 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Es hat die Kündigung für wirksam gehalten, da der Kläger die sechsmonatige Wartezeit des KSchG noch nicht erfüllt habe. Ein Betriebsübergang gem. § 613 a BGB von der Streitverkündeten auf die Beklagte habe nicht stattgefunden. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach grundsätzlich an einen Betriebsteilübergang im Wege der Funktionsnachfolge zu denken sei, fehle es im vorliegenden Fall an einer rechtsgeschäftlichen Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit, da der bisherige Arbeitgeber nur eine Kundenbeziehung verliere, die der neue Unternehmer neu begründe. Auch wenn es nach der Rechtsprechung des BAG nicht darauf ankomme, daß ein Rechtsgeschäft zwischen dem bisherigen Betriebsinhaber und dem Erwerber vorliege, sei die Rechtsprechung beider Gerichte nicht in der Weise zu kombinieren, daß ein Betriebsübergang auch dann gegeben sei, wenn weder Betriebsmitt...