Entscheidungsstichwort (Thema)
Falsche Bezeichnung des Berufungsbeklagten. Zustellung einer Klage an den Beklagten. Heilung eines Zustellungsmangels gem. § 172 Abs. 1 und § 189 ZPO. Unentgeltliche Leistung i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine falsche Bezeichnung des Berufungsbeklagten führt zur Unzulässigkeit der Berufung. Von der Bezeichnung eines falschen Rechtssubjekts als Partei ist aber die Konstellation zu trennen, dass eine Partei unvollständig bezeichnet wird. Daran scheitert die Zulässigkeit einer Berufung nicht, wenn die Mängel letztlich keine Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen lassen.
2. Hat der Kläger im Rubrum der Klageschrift keine Prozessbevollmächtigten für den Beklagten angegeben und hatten sich weder der Beklagte noch sein späterer Prozessbevollmächtigter vorab bei dem Arbeitsgericht in Erwartung einer Klage gemeldet und von dem Bestehen einer Prozessvollmacht Kenntnis gegeben, hatte das Gericht die Klage an den Beklagten selbst zuzustellen.
3. Nach § 189 ZPO ist eine Heilung eines Zustellungsmangels anzunehmen, wenn eine Klage entgegen § 172 Abs. 1 ZPO nicht an den Prozessbevollmächtigten, sondern an die Partei selbst zugestellt wurde, die Klageschrift dem Prozessbevollmächtigten aber tatsächlich zugeht.
4. Eine Leistung ist unentgeltlich, wenn ihr nach dem Inhalt des ihr zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts keine Gegenleistung gegenübersteht, dem Leistenden also vereinbarungsgemäß keine dem von ihm aufgegebenen Vermögenswert oder der eingegangenen Verpflichtung entsprechende Gegenleistung zufließt. § 134 Abs. 1 InsO beruht auf der gesetzgeberischen Wertung, dass ein in Vermögensverfall geratener Schuldner sich nicht auf Kosten seiner Gläubiger freigiebig zeigen darf.
Normenkette
ZPO § 519; InsO § 134 Abs. 1, § 259 Abs. 3, § 280; ZPO § 116 Abs. 2, § 172 Abs. 1, §§ 189, 301
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 17.03.2022; Aktenzeichen 5 Ca 686/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 17. März 2022 – 5 Ca 686/21 – wird zurückgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger als Sachwalter über das Vermögen des AWO Kreisverband Wiesbaden e.V. 11.200,00 € (in Worten: Elftausendzweihundert und 0/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz daraus seit dem 1. September 2021 zu zahlen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil vorbehalten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der klagende ehemalige Sachwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des AWO Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wiesbaden e.V. verlangt von der Beklagten, der früheren Geschäftsführerin des Kreisverbandes, Rückzahlung unentgeltlicher Leistungen durch Insolvenzanfechtung.
Der Kläger war Sachwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des AWO Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wiesbaden e.V. Der Insolvenzantrag wurde am 24. November 2020 gestellt (Amtsgericht Wiesbaden Az. 10 IN 299/20). Am 1. Februar 2021 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung des Schuldners angeordnet, der Kläger wurde zum Sachwalter bestellt (vgl. Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 25 f. d.A.). Mit am 28. September 2021 verkündeten Beschluss wurde der Insolvenzplan vom 29. Juli 2021 bestätigt (vgl. Anlage zu dem am 14. März 2022 übermittelten Schriftsatz der Beklagten, Bl. 129 f. d.A.). Mit Wirkung zum 2. Dezember 2021 ist das Insolvenzverfahren aufgehoben worden.
Der Insolvenzplan enthält in dem Gestaltenden Teil C., Ziff. II. 9. folgende Bestimmung (vgl. Anlage K 16 zum Schriftsatz des Klägers vom 18. Januar 2022, Bl. 246-248 d.A.):
„(…)
9. Anfechtungsansprüche und Haftungsansprüche im weiteren Sinne
Der Sachwalter wird gem. § 259 Abs. 3 InsO ermächtigt, die zum Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtshängigen Rechtsstreite fortzuführen, welche die Verfolgung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff., § 280 InsO zum Gegenstand haben. Der Sachwalter ist berechtigt, über solche Ansprüche nach seinem billigen Ermessen angemessene Vergleiche zu schließen.
(…)“
Die 1959 geborene, verheiratete Beklagte ist schwerbehindert. Ihr Arbeitsverhältnis zu dem AWO Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wiesbaden e.V. begann am 1. Januar 1984. Seit 1. Januar 1998 war die Beklagte in der Position einer Geschäftsführerin tätig, wie zumindest seit 1. November 2011 in § 8 Abs. 6 der Satzung des Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wiesbaden e.V. geregelt (Satzung s. Anlage K3 zur Klageschrift, Bl. 27-35 d.A.). Als Geschäftsführerin war die Beklagte neben dem ehrenamtlich tätigen Vorstand besondere Vertreterin des Vereins gemäß § 30 BGB und bevollmächtigt zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen, verwaltungsmäßigen und personellen Angelegenheiten.
Am 1. März 2006 schlossen der AWO Kreisverband Wiesbaden e.V. und der AWO Kreisverband Frankfurt e.V. jeweils vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden, einen Kooperationsvertrag. Dieser hat folgenden Inhalt (Anlage K 19 zum Schriftsatz des Klägers vom 10. Januar 2023, Bl. 389...