Entscheidungsstichwort (Thema)

Das Konstrukt der Arbeitnehmerüberlassung. Arbeitsleistung aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Überlassung zur Arbeitsleistung liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach den Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen.

2. Bei der Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten ist die Grundlage ein Werk- oder Dienstvertrag, wenn ein Unternehmer für einen anderen tätig wird. Der Unternehmer organisiert die zur Erreichung des wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Maßnahmen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Vertragserfüllung gegenüber dem Dritten verantwortlich.

3. Erhält der bei einem Dritten tätige Arbeitnehmer von diesem Weisungen und wird er in die Urlaubsplanung miteinbezogen, liegen ausreichende Indizien für eine Arbeitnehmerüberlassung vor. Hat der Verleiher keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, wird ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher gesetzlich fingiert (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 1a, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG).

 

Normenkette

AÜG §§ 1, 9 Abs. 1 Nrn. 1, 1a, § 10 Abs. 1 S. 1; BGB § 645 Abs. 1 S. 1; AÜG § 1 S. 2; BUrlG § 7

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 22.10.2019; Aktenzeichen 4 Ca 62/19)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichtes Darmstadt vom 22. Oktober 2019 – 4 Ca 62/19 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.

Der Kläger schloss mit Wirkung zum 01. Juli 2010 einen Vertrag mit der A. Diese ging auf die B über, welche eine Tochtergesellschaft der C wurde und später in die D umbenannt wurde. Die oben genannten Gesellschaften sind nicht im Besitz einer Erlaubnis für Arbeitnehmerüberlassungen. Der Kläger war ununterbrochen als Systemingenieur in der Betriebsstätte der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in E in der Abteilung F eingesetzt. In der Abteilung F waren ca. 60 Arbeitnehmer beschäftigt, die teilweise bei Fremdfirmen beschäftigt waren, wie hier der Kläger bei der D. Diese Abteilung beschäftigt sich mit der Steuergeräteverantwortung und der Steuergeräteverwaltung. Die Mitarbeiter arbeiten in Teams. Der Kläger arbeitete im Team der Mitarbeiter der Beklagten G, später H und I. Die Aufgaben der Systemingenieure bestehen darin für die Programmierung der Steuergeräte in den Fahrzeugen durch die Vertragshändler/Werkstätten die erforderlichen Daten in eine Datenbank einzupflegen. Dabei gibt es eine Aufteilung nach Steuergeräten und Fahrzeuglinien, für die der einzelne Systemingenieur verantwortlich ist. Mitarbeiter der Beklagten sollen zumeist zusätzliche Arbeiten gehabt haben, z. B. Abteilungsadministration, Koordination von F-Projekten und Entwicklung von Prozessen und Strategien. Auf Seiten der von Fremdfirmen beschäftigten Systemingenieure gibt es einen sogenannten „Single Point of Contact“. Bei der D war dies J. Die Kommunikation in der F Abteilung erfolgt größtenteils per E-Mail. Diese E-Mails richten sich auch bei den bei Fremdfirmen beschäftigten Mitarbeitern an diese direkt, das heißt nicht an den jeweiligen „Single Point of Contact“. Wegen des Inhalts dieser E-Mails wird auf die Klageschrift (Bl. 12 - 48 d. A. ) und auf die Anlagen zum Schriftsatz vom 07. März 2018 (Bl. 101 – 119 d. A.) verwiesen sowie auf den übrigen Akteninhalt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung tätig gewesen, weswegen ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten bestehe. Er, die Mitarbeiter der Beklagten und die Mitarbeiter anderer Vertragspartner der Beklagten würden im selben Gebäude arbeiten. Weisungen habe er auch von K erhalten, von L und M, alles Mitarbeiter der Beklagten. Der Kläger hat weiter behauptet, dass sich aus den vorgelegten E-Mails eine Vielzahl von Arbeitsanweisungen ergeben würden, die zeigten, dass er im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten seit dem 01. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, es läge keine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vor. Der Kläger sei im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages mit der D, der am 30. April 2018 geendet habe, in der F Abteilung, zunächst bei der N und nach dem Betriebsübergang zum 01. Juli 2017 bei der Beklagten eingesetzt gewesen. In der F Abteilung habe es eine klar mit den Fremdfirmen abgestimmte Aufteilung nach Steuergeräten und Fahrzeuglinien gegeben, so dass es keine Schnittmengen zwischen Mitarbeitern der Beklagten und den Fremdfirmenmitarbeitern gegeben habe. In allen F Projekten habe es klar definierte Arbeitsberei...

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