Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatkündigung wegen Bestechlichkeit/Vorteilsannahme. Ausschlussfrist
Leitsatz (amtlich)
✦ Tatkündigung wegen aus Ermittlungsakten gewonnener Erkenntnisse
✦ Darlegungs- und Beweislast betr. Wahrung Ausschlussfrist
✦ Kündigungsberechtigter bei Stadt Frankfurt
✦ keine Hammung des Laufs der Frist wg. Bitte/Aufforderung der Staatsanwaltschaft, die durch Akteneinsicht gewonnenen Erkenntnisse erst nach „Freigabe” arbeitsrechtlich zu verwerten, wenn nicht die Kündigung auf wesentliche neue Tatsachen gestützt wird.
Normenkette
BAT § 54 II; BGB § 626 II
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.04.2003; Aktenzeichen 17 Ca 9997/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 16.04.2003 – 17 Ca 9997/02 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch und hilfsweise geltend gemachte Vergütungs- und Urlaubsansprüche.
Der am 14. Juli 1952 geborene, geschiedene, in einer Lebensgemeinschaft lebende und zwei Kindern Unterhalt zahlende Kläger ist bei der Beklagten seit dem 11. Juli 1977 – seit Januar 1991 als technischer Angestellter im Hochbauamt – mit einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von EUR 3.895,30 (zuletzt Vergütungsgruppe III BAT) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) Anwendung.
Unter dem Datum des 09. Oktober 1985 unterzeichnete der Kläger eine Erklärung, wonach er durch den Sachgebietsleiter über die Bestimmungen der Allgemeinen Dienst- und Geschäftsanweisungen für die Stadtverwaltung Frankfurt am Main (AGA I) zur Wahrung städtischer Interessen, der Annahme von Belohnungen und Geschenken, der Interessenkollision, der Wahrnehmung von Nebentätigkeiten und der Maßnahmen bei Pflichtverletzungen und Strafverfahren belehrt worden ist. Am 02. Februar 1995 nahm der Kläger an einer besonderen Mitarbeiterinformation der Beklagten über das grundsätzliche Verbot der Zuwendungsannahme teil. Am 23. November 1998 erhielt der Kläger das Rundschreiben vom 18. November 1998 betreffend „Annahme von Belohnungen und Geschenken”.
Im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (Aktenzeichen: 77/95 Js 36925.7/99) wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und des Verstoßes gegen die Abgabenordnung erfolgten am 15. und 17. November 2000 Vernehmungen von Herrn H. S., einem Mitarbeiter der Firma J. W., in denen er unter anderem angab, dass die Firma J. W. Zuwendungen an Bauleiter des Hochbauamtes geleistet habe. In der Vernehmung vom 15. November 2000 heißt es Bezüglich des Klägers:
„Ich räume jetzt ein, dass ich entgegen meinen bisherigen Angaben Geldzahlungen erbracht habe und zwar an folgende Personen:
… an Herrn A. … (alle HBA) anlässlich des Weihnachtsfestes und des Geburtstags jeweils 100,– DM. Die Gelder wurden jeweils in einem Briefumschlag eingelegt von mir übergeben.”
Wegen des Auszugs aus dem Vernehmungsprotokoll vom 15. November 2000 wird auf Anlage 10 zur Klageerwiderung vom 10.1.2003, Blatt 26 der Akte, verwiesen.
In der Vernehmung des Herrn St. vom 17. November 2000 lautet es hinsichtlich des Klägers:
„Herr A. erhielt zu Weihnachten 200,– DM, zum Geburtstag 100,– DM sowie diverse Essenseinladungen seit mehr als fünf Jahren.”
Wegen der weiteren Einzelheiten der Vernehmung vom 17. November 2000 wird auf die Anlage K 2 zur Klageerweiterung vom 14.2.2003, 44–53 der Akte, Bezug genommen.
In einer weiteren Vernehmung vom 16. Februar 2001 sagte Herrn St. betreffend den Kläger aus:
„Der Bauleiter A. hat über die von mir eingeräumten Zahlungen von 100,– DM zum Geburtstag bzw. 200,– DM zu Weihnachten noch etwa zwei- bis dreimal im Jahr zwischendurch jeweils einen Geldbetrag in Höhe von 100,– DM bekommen. Diese zusätzlichen Zahlungen habe ich aber in den letzten zwei Jahren eingestellt, weil auch die Umsätze an den städtischen Bühnen zurückgegangen sind.”
Wegen des Auszugs aus dieser Vernehmung wird auf Anlage 12 zur Klageerwiderung, Blatt 29 der Akte, verwiesen.
Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung wurde auch Herr K. V., Mitarbeiter der Firma M., am 10. Mai 2001 vernommen. In dem Protokoll heißt es bezüglich des Klägers:
„Um Aufträge von Herrn A. zu bekommen, musste ich ihm anlässlich seines jährlichen Osterurlaubs 300,– DM geben sowie Weihnachten ebenfalls 300,– DM.”
Auf den als Anlage 9 zur Klageerwiderung vorgelegten Vernehmungsauszug, Blatt 25 der Akte, wird Bezug genommen.
Mit Schreiben der Beklagten vom 30. November 2000 (Anlage K 1 zur Klageerweiterung vom 14.2.2003, Blatt 43 der Akte) wandte sich der leitende Magistratsdirektor M. an den damals zuständigen Oberstaatsanwalt Schaupensteiner. Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass der Beklagten das Protokoll der Vernehmung des Herrn H. St. vom 17.11.2000 vorlag. Ferner wurde gebeten, „uns zeitnah darüber in Kenntnis ...