Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenbeiträge für baugewerbliche Arbeiten einer GmbH an Grundstücken der Alleingesellschafterin der GmbH. Verfassungsmäßigkeit des § 7 SokaSiG. Rechtshängigkeit eines Anspruchs vor Beginn der Verjährungsfrist. Verfahrensstillstand und Hemmung der Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Werden baugewerbliche Arbeiten durch eine GmbH an Grundstücken erbracht, die im Eigentum der Alleingesellschafterin der GmbH stehen, dienen diese Arbeiten nicht zur Kapitalanlage der Gesellschaft. Nach dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip ist zivilrechtlich zwischen den Vermögen der Gesellschaftern und der Kapitalgesellschaft zu unterscheiden.
2. Werden Ansprüche vor Beginn der Verjährungsfrist rechtshängig gemacht, so tritt die Hemmung der Verjährungsfrist infolge der Rechtshängigkeit nicht bereits mit dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, sondern mit demjenigen des Beginns der Verjährung nach § 199 Abs. 1 BGB ein.
3. War vor dem nach § 199 BGB maßgeblichen Beginn der Verjährungsfrist bereits ein Verfahrensstillstand eingetreten, so läuft auch die Frist von sechs Monaten nach § 204 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht ab dem Eintritt des Verfahrensstillstands, sondern erst ab dem nach § 199 Abs. 1 maßgeblichen Beginn der Verjährungsfrist.
Normenkette
SokaSiG § 7; VTV §§ 18, 21; BGB § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 209
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 23.01.2019; Aktenzeichen 6 Ca 1045/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. Januar 2019 – 6 Ca 1045/16 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.504,00 EUR (in Worten: Dreitausendfünfhundertvier und 0/100 Euro) zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 78 % und die Beklagte 22 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beiträge zum Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft zu zahlen.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Baugewerbe. Aufgrund des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), der in der Vergangenheit regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, i.V.m. dem Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) hat er die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen in Höhe von 16.352 Euro in Anspruch genommen. Dabei handelt es sich um Beiträge für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2010 sowie März 2011 und April 2011. Der Kläger legte der Berechnung seiner Mindestbeitragsklage für mindestens zwei gewerbliche Arbeitnehmer pro Monat die im Baugewerbe statistisch durchschnittlich angefallenen Bruttolöhne zu Grunde. Der Kläger hat die Beitragsansprüche zunächst in drei getrennten Verfahren rechtshängig gemacht, die mit Beschluss vom 20. September 2017 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind (Bl. 97 der Akte).
Die Beklagte hat den Zweck, Immobilien zu betreuen, die im Mit- oder Alleineigentum von Frau A stehen. Diese ist gleichzeitig alleinige Gesellschafterin und geschäftsführende Gesellschafterin der Beklagten. Zum Zwecke der Immobilienbetreuung waren bei der Beklagten Angestellte beschäftigt, die sich mit der Abwicklung von Mietverträgen etc. beschäftigten, ferner waren gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt.
Im Februar 2008 und Mai 2008 wurden auf Baustellen der Beklagten eine Kontrolle durch das Hauptzollamt (HZA) B vorgenommen.
Zwischen den Parteien war bereits eine Vielzahl von Prozessen vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden und dem Hessischen Landesarbeitsgericht anhängig. In einem Vorverfahren den Zeitraum Dezember 2005 bis November 2006 betreffend hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer in Anspruch. Nach einer Beweisaufnahme hat das Berufungsgericht mit Urteil vom 13. November 2015 - 10 Sa 250/14 - angenommen, es seien überwiegend bauliche Tätigkeiten erbracht worden, weshalb die Beklagte zur Beitragszahlung verpflichtet sei. Durch Urteil jeweils vom 16. November 2018 in den Berufungsverfahren - 10 Sa 1579/17 - sowie - 10 Sa 931/18 SK - ist eine Beitragspflicht für die Monate Januar 2012 bis November 2012 sowie Dezember 2012 bis Dezember 2013 angenommen worden; gegen die beiden letztgenannten Entscheidungen hat die Beklagte Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.
Alle drei ursprünglich getrennten Verfahren haben für einen längeren Zeitraum geruht. In dem Rechtsstreit 6 Ca 1045/16 (früher: 6/2 Ca 1155/11) ist am 28. Oktober 2011 (Bl. 7 der Akte) das Ruhen angeordnet worden, mit Schreiben vom 31. Mai 2016 hat der Kläger das Verfahren wieder aufgerufen. In dem Rechtsstreit 6 Ca 1047/16 (früher: 6/2 Ca 448/11) ist am 15. Juli 2011 das Ruhen angeordnet worden, mit Schreiben vom 31. Mai 2016 hat der Kläger das Verfahren wieder aufger...