Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdrängung eines für AVE erklärten Flächentarifvertrags durch Firmentarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Grundsatz der Tarifeinheit bei Tarifpluralität zwischen Flächen-TV und Firmen-TV zur Beschäftigungssicherung
Leitsatz (amtlich)
Ein Firmen-TV zur „Beschäftigungssicherung” verdrängt nach dem Grundsatz der Tarifeinheit einen für allgemeinverbindlich erklärten Mantel-TV, wenn beide TV von der selben Gewerkschaft abgeschlossen wurden.
Normenkette
TVG
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Urteil vom 29.04.2003; Aktenzeichen 5 Ca 32/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 29. April 2003 – 5 Ca 32/03 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Sondervergütung aus einem für allgemeinverbindlich erklärten Flächentarifvertrag nach dem Grundsatz der Tarifeinheit durch einen Firmentarifvertrag zur Beschäftigungssicherung wirksam ausgeschlossen wird.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Groß- und Außenhandels mit Sitz in G.. Sie ist nicht Mitglied des tarifschließenden Verbands Großhandel, Außenhandel, Verlage und Dienstleistungen Hessen e.V. (AGH). Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.
Der nicht tarifgebundene Kläger ist auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 04. November 1991 seit diesem Zeitpunkt für die Beklagte als Lagerarbeiter und Kraftfahrer tätig. Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie Bezug genommen (Bl. 3 ff. d.A.).
Am 28. November 2002 schloss die Beklagte mit der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft e.V. – ver.di – Landesbezirk Hessen, Fachbereich Hände eine „Tarifvertragliche Vereinbarung”. Diese lautete (vgl. Anlage zum Klageabweisungsantrag der Beklagten vom 31. Januar 2003, Bl. 12 ff. d.A.):
„Zwischen den Parteien wird nachfolgende Vereinbarung geschlossen:
Kapitel I
Geltungsbereich
Fachlich: |
Für das o.g. Unternehmen, nebst seinen Filialen |
Persönlich: |
Für die in diesem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer/innen sowie Auszubildenden, soweit sie Mitglied der vertragsschließenden Gewerkschaft sind. |
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Nicht als Arbeitnehmer/innen im Sinne dieses Abkommens gelten gesetzliche Vertreter von Juristischen Personen sowie leitende Angestellte, die zur selbstständigen Einstellung und Kündigung von Arbeitnehmer/innen befugt sind. |
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Weiter gelten diese tariflichen Vereinbarungen nicht für Arbeitnehmer/innen mit gültigen Verträgen gemäß des Tarifvertrages zur Förderung der Altersteilzeit. |
1. Gehalts- und Lohntarifverträge
Während der Laufzeit dieser Vereinbarung finden die Tarifverträge in der Fassung ab 01.05.2001 Anwendung.
2. Manteltarifvertrag
Während der Laufzeit dieser Vereinbarung findet der Tarifvertrag nebst Anlagen in der Fassung 23. Nov. 2000 Anwendung.
Ausgenommen hiervon sind die Bestimmungen des § 14 – Sonderzahlungen –
Diese werden im Jahre 2002 nicht erfüllt Wenn im Jahre 2003 ein positives Betriebsergebnis in Höhe der zu zahlenden Sonderzahlung erzielt wird, wird die vorgenannte Leistung für dieses Jahr gewährt.
3. Tarifvertrag über Leistungen nach dem Vermögensbildungsgesetz
Während der Laufzeit dieser Vereinbarung findet der Tarifvertrag in der Fassung vom 23. Nov. 2000 mit der Ausnahme Anwendung, dass ab dem Abschluss dieser Vereinbarung neu eingestellte Arbeitnehmer/innen diese Leistung nicht erhalten.
4. Tarifvertrag zur Förderung der Altersteilzeit
Während der Laufzeit dieser Vereinbarung findet der Tarifvertrag in der Fassung vom 23. November 2000 Anwendung.
5. Tarifvertrag über Altersvorsorge
Während der Laufzeit dieser Vereinbarung findet der Tarifvertrag in der Fassung vom 25. Okt 2002 Anwendung.
Kapitel II
Während der Laufzeit dieser Vereinbarung gilt weiterhin als vereinbart:
- Das Unternehmen verzichtet darauf betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
- Wird das Arbeitsverhältnis eines/einer Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin der/die von dem Geltungsbereich dieser Vereinbarung erfasst wird arbeitgeberseitig beendet, so werden die bisher nicht ausgezahlten tariflichen Leistungen nachträglich vergütet.
Die Vereinte Dienstleistungsgewertschaft e.V. hat das Recht
- Einblick in testierte Bilanz, die dazu gehörende Gewinn- und Verlustrechnung, sowie die monatliche Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens zu nehmen
- zur Prüfung der o.g. Unterlagen einen Sachverständigen zu beauftragen.
Die Prüfung dieser o.g. Unterlagen findet in den Geschäftsräumen des Unternehmens statt. Für Beauftragte der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft gelten die Bestimmungen des § 79 BetrVG uneingeschränkt
Kapitel III
Laufzeit dieser Vereinbarung:
Diese Vereinbarung wird wirksam, wenn die von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft gebildete Clearingstelle dieser Vereinbarung zustimmt.
Diese Vereinbarung gilt für den Zeitraum vom 28. November 2002 bis zum 31. Dezember 2003. Eine Nachwirkung wird ausdrücklich ausg...