Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrarbeitsklage
Leitsatz (amtlich)
Steht fest oder wird nachgewiesen, dass ein Arbeitgeber gegenüber der Urlaubskasse bewusst falsche Meldungen erstattete und deshalb zu wenig Beiträge nach § 1 Abs. 3 AEntG iVm § 18 VTV-Bau leistete, können die der Urlaubskasse noch zustehenden weiteren Beiträge nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden, wenn das tatsächliche Stundenvolumen der entsandten Arbeitnehmer nicht mehr festgestellt werden kann.
Hat der Arbeitgeber falsche Meldungen erteilt und/oder falsche Angaben zu der geleisteten Urlaubsvergütung gemacht, kann auch die ihm nach § 1 Abs. 3 AEntG iVm § 13 VTV erstattete Urlaubsvergütung nach § 29 VTV von der Urlaubskasse vollständig zurückgefordert werden.
Normenkette
ZPO § 287 Abs. 2; AEntG vom 23.04.2009 § 1 Abs. 3; VTV-Bau § 29
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 27.03.2008; Aktenzeichen 4 Ca 2888/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 27. März 2008 – 4 Ca 2888/07 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von weiteren Urlaubskassenbeiträgen für die in der Zeit von Februar 2004 bis Dezember 2006 von ihr in Deutschland beschäftigen gewerblichen Arbeitnehmer sowie um die Frage, ob sie durch den Kläger erstattete Urlaubsvergütung wegen falscher Angaben zurückzahlen muss.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe – BRTV –, Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe – VTV –) insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte ist eine juristische Person polnischen Rechts mit Sitz in A/A (Polen). In Kalenderjahren 2004 und 2005 erbrachte sie mit Hilfe aus Polen entsandter polnischer Arbeitnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen als Subunternehmerin in der Bundesrepublik Deutschland für verschiedene Auftraggeber Rohbau-, Putz- und zu einem kleinen Teil auch Trockenbauarbeiten.
Die Beklagte erteilte dem Kläger gegenüber für die Monate Februar 2004 bis Dezember 2005 Beitragsmeldungen und zahlte die sich hieraus ergebenden Beiträge. Außerdem meldete sie für ihre entsandten Arbeitnehmer Urlaub in den Kalenderjahren 2004 und 2005 und beantragte Erstattung der Urlaubsvergütung. Diese zahlte der Kläger in Höhe von insgesamt 22.527,39 EUR.
Die Beklagte trat in Deutschland Anfang 2004 als faktische Nachfolgerin einer anderen polnischen Gesellschaft auf, der B Über das Vermögen der B wird in Polen mittlerweile ein Insolvenzverfahren geführt. Die B und die Beklagte haben ihren Sitz unter derselben Adresse in A. Herr C, Mitgeschäftsführer der Beklagten, ist oder war auch Geschäftsführer der B. Der Projektleiter der Beklagten, Herr D, arbeitete seit Frühjahr 2003 zunächst in dieser Funktion für die B, dann für die Beklagte. Bauleiter der Beklagten unter dem Projektleiter D war ab Juni 2005 Herr E. Dieser hatte auch bereits 2003 und 2004 für die B in Deutschland als Bauleiter gearbeitet.
Die Beklagte arbeitete im Jahr 2004 zumindest auf einer Baustelle „F”, im Jahr 2005 auf drei Baustellen in G: „H”, „I” und „J”, letzteres war die „K”.
Das Hauptzollamt L durchsuchte 2005 Geschäftsräume der B und überprüfte Baustellen. Dabei kam es auch zu Ermittlungen gegen die Beklagte. Das Hauptzollamt L kam in seinem abschließenden Ermittlungsbericht vom 18. Dezember 2006, welcher der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I vorgelegt wurde, zu folgendem Ergebnis (vgl. Anlage K 4 zum Schriftsatz des Klägers vom 28. Februar 2008, Bl. 204 – 235 d.A.):
Der jeweilige Bauleiter der Beklagten habe bewusst und auf Anweisung des Projektleiters D, dieser in Kenntnis der Geschäftsführer handelnd, gegenüber dem Kläger zu geringe Stundenzahlen angegeben. Statt den gemeldeten 170 Arbeitsstunden pro Arbeitnehmer pro Monat, für welche auch Beiträge gezahlt wurden, hätten die Arbeitnehmer der Beklagten wenigstens 55 Stunden wöchentlich gearbeitet, so dass eine Monatsarbeitszeit von zumindest 220 Stunden erreicht worden sei. Außerdem habe die Beklagten bei dem Kläger Erstattung von Urlaubsvergütung beantragt, welche sie zumindest zum Teil nicht an die entsandten Arbeitnehmer gezahlt hatte. Daneben sei der Mindestlohn unterschritten worden, da den Arbeitnehmern nur zwischen 3,00 Euro und 5,00 Euro netto pro Stunde gezahlt worden sei.
Im Februar 2006 kam es während des Ermittlungsverfahrens des Hauptzollamts zu einer Befragung polnischer Arbeitnehme...