Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Altersdiskriminierung bei Nichteinbeziehung eines Altersteilzeitlers in einen Interessenausgleich über eine Betriebsänderung
Leitsatz (redaktionell)
Werden Altersteilzeitmitarbeiter im Falle einer Betriebsänderung mit Arbeitnehmern gleichgesetzt, die vor einer Betriebsänderung ausscheiden, liegt eine Differenzierung wegen des Alters im Vergleich mit den von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern vor. Ob dies gleichzeitig eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung bedeutet, hängt von der Betrachtung der Einzelumstände ab. Im Entscheidungsfall nahm eine Konzernbetriebsvereinbarung die Altersteilzeitmitarbeiter von dem Teilbetriebsübergang aus. Hierin lag kein Nachteil im Vergleich zu den anderen Arbeitnehmern, deren Arbeitsplatz um mehr als 300 km zu einem anderen Arbeitgeber verlagert wurde. Auch liegt es im Regelungsbereich des § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, den Personenkreis zu bestimmen, der von einer Betriebsänderung in der Gestalt eines Teilbetriebsübergangs mit Betriebsverlagerung betroffen ist. Mangels Betroffenheit konnte dem Altersteilzeitmitarbeiter keine Diskriminierung zugefügt werden, ein Schadensersatzanspruch scheidet damit aus.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 1, § 3 Abs. 1-2, § 15 Abs. 3; BetrVG § 75 Abs. 1, § 112 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Urteil vom 30.04.2019; Aktenzeichen 5 Ca 257/18) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 30. April 2019 – 5 Ca 257/18 – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen Altersdiskriminierung, da ihm keine Sozialplanleistungen zustehen.
Die Beklagte hat ihren Sitz in A, sie gehört zum B Konzern und ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der B AG. Innerhalb des B Konzerns gehört die Beklagte zum Unternehmensbereich „Consumer Products" mit den strategischen Geschäftseinheiten „Sports Optics" und „Photo/Camera Lenses". Die Beklagte war für die Geschäftseinheit „Sports Optics" (SPO) verantwortlich. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet, im B Konzern ein Konzernbetriebsrat.
Der 1956 geborene Kläger war seit dem 1. September 1999 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Referent Training und International Supports im Bereich Marketing. Seit dem 1. Oktober 2013 war der Kläger auf der Grundlage des Vertrags vom 3. April 2013 in Altersteilzeit (ATZ), er arbeitete mit der Hälfte seiner früheren Arbeitszeit. Nach Ziff. 1 dieses Vertrags endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. September 2019. Wegen der Einzelheiten des ATZ-Vertrages wird auf die Anlage K3 zur Klageschrift (Bl. 10-12 d.A.) verwiesen. Der Kläger verdiente in ATZ zuletzt monatlich 5.074,48 € brutto.
Im Oktober 2017 erfuhren die Arbeitnehmer der Beklagten, dass so genannte kunden- und marktnahe Funktionen wie Produkt-Management, Marketing, Produktentwicklung, Vertrieb, Einkauf sowie Teile der Administration und des Services bei der B AG gebündelt und daher nach C verlagert werden sollten.
In einer Informationsveranstaltung für die Mitarbeiter der Beklagten wurden im Dezember 2017 die Sozialplankonditionen einer zuvor im Konzern an einem anderen Standort durchgeführten Betriebsänderung vorgestellt. Wegen der vom Kläger zur Akte gereichten Auszüge aus der dabei verwendeten Präsentation wird auf die Anlage K4 zur Klageschrift (Bl. 13-15 d.A.) Bezug genommen. Die Beklagte teilte darin mit, dass alle festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der marktnahen Bereiche ein Angebot erhalten würden, auf eine Stelle in C zu wechseln.
Am 21. März 2018 wurden von der B AG, der Beklagten, dem Konzernbetriebsrat und dem Betriebsrat der Beklagten eine „Konzernbetriebsvereinbarung, die zugleich ein Interessenausgleich ist“ (folgend: KBV) sowie ein Sozialplan (folgend: SP) unterzeichnet.
Zur Wiedergabe des Inhalts der KBV wird auf die Anlage K5 zur Klageschrift (Bl. 16-30 d.A.) verwiesen, wegen des Inhalt der Anlagen 1 und 6 zur KBV wird auf die Anlagen zum Schriftsatz der Beklagten vom 28. Oktober 2019 (Bl. 188-190, 191-194 d.A.) Bezug genommen.
§ 2 KBV lautet auszugsweise:
„Diese Vereinbarung gilt (…) für sämtliche Arbeitnehmer der SPO am Standort A. (…)“
Zur Wiedergabe des vollständigen Inhalts des SP wird auf die Anlage K6 zur Klageschrift verwiesen (Bl. 31-39 d.A.).
§ 1 des Sozialplans hat folgenden Wortlaut:
„Diese Vereinbarung gilt für sämtliche Arbeitnehmer der SPO am Standort A sowie für Mitarbeiter die auf Grundlage des Interessenausgleichs vom 21.03.2018 in die B AG wechseln. Sie gilt nicht für Beschäftigte der SPO die bereits eine Altersteilzeitregelung unterschrieben haben sowie für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG und für die in § 5 Abs. 2 BetrVG genannten Personen.“
Neben dem Kläger befanden sich zum Zeitpunkt des Abschlusses der KBV und des SP weitere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Altersteilzeit, die in Abteilungen/Funktionen arbeiteten, we...