Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Notwendigkeit der fiktiven Prüfung des Grundes des Aufenthaltsrechts. Nichtanwendung des Leistungsausschlusses bei Nichtvorliegen eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche. Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung
Leitsatz (amtlich)
1. Unionsbürger, die die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) nicht erfüllen, die aber wegen der Freizügigkeitsvermutung nicht ausreisepflichtig sind (§ 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU), haben kein sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebendes Aufenthaltsrecht. Sie unterfallen daher nicht dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2.
2. Zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bei der erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2.
Orientierungssatz
1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 erfordert eine fiktive Prüfung des Grundes des Aufenthaltsrechts am Maßstab des FreizügG/EU 2004 und ggf des AufenthG 2004. Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus anderem Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 (vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R = BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34).
2. Bei einem legalen Aufenthalt allein aufgrund der Freizügigkeitsvermutung handelt es sich insofern nicht um ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2. Gem der für den Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums noch anzuwendenden Norm des § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU 2004 aF ist ein Unionsbürger in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht. Dabei ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Arbeitsuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (vgl EuGH vom 26.2.1991 - C-292/89 = InfAuslR 1991, 151; vgl dazu auch § 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU 2004 nF).
3. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 dient primär der Umsetzung von Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 bei einem bestehenden Aufenthaltsrecht nach Art 21 Abs 1 AEUV iVm Art 7, Art 14 Abs 4 Buchst b EGRL 38/2004. Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 ist aber im Fall der fehlenden Arbeitsuche gerade nicht einschlägig (vgl EuGH vom 11.11.2014 - C-333/13 = NJW 2015, 145).
4. Die Gesamtregelung des § 7 Abs 1 SGB 2 ist in sich stimmig und ohne Regelungslücke, da Fälle, in denen dem Unionsbürger kein Aufenthaltsrecht nach der EGRL 38/2004 zusteht, teilweise vom Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 2 mit einer entsprechenden Überleitung ins Leistungssystem des AsylbLG erfasst werden. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 2 greift aber gem § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG erst bei vollziehbarer Ausreisepflicht, die wiederum einen entsprechenden Verwaltungsakt der Ausländerbehörde voraussetzt. Im Übrigen wird der Zugang zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur über den gewöhnlichen Aufenthalt gem § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 gesteuert.
5. Im Hinblick auf die Anwendung des Leistungsausschlusses des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 im Wege des "erst recht" Schlusses oder der anspruchsausschließenden Analogie im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung bestehen erhebliche Bedenken. Ein Leistungsausschluss in diesen Fällen dürfte im Übrigen am Maßstab des für menschenwürdesichernde Leistungen geltenden Gesetzesvorbehalts auch materiell verfassungswidrig sein.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe
Die am 22. Dezember 2014 erhobene Beschwerde der Antragsteller, die nach verständiger Auslegung von beiden Antragstellern mit dem Antrag eingelegt worden ist,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Dezember 2014 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an sie Leistungen nach dem 2. Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in gesetzlicher Höhe, mindestens in Höhe vom 1.055,57 € sowie eines Mietanteils i.H.v. 478,82 € zu gewähren,
ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anord...