Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Streit über Versorgung mit einem Huntington-Bett in vollstationärer Pflegeeinrichtung. fehlende Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds von besonders herausgehobener Dringlichkeit. kein Anspruch über §§ 40 und 43 SGB 11. Prüfung eines Leistungsanspruchs nach § 33 SGB 5. Abgrenzung Vorhaltepflicht des Heimträgers und Leistungspflicht der Krankenkasse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bestehen im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn ein Anordnungsgrund von besonders herausgehobener Dringlichkeit vorliegt.

2. Eine solche herausgehobene Dringlichkeit ist hinsichtlich einer beantragten Versorgung mit einem Huntington-Bett nicht gegeben, wenn nicht glaubhaft gemacht wurde, dass die aktuelle (Pflege)Situation für die Antragstellerin bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar ist.

3. Bei vollstationärer Pflege lässt sich ein Anspruch auf Versorgung mit einem Huntington-Bett gegenüber der gesetzlichen Pflegeversicherung über § 40 SGB XI kaum begründen, da dieser lediglich einen Anspruch bei häuslicher Pflege gewährt und eine entsprechende Regelung in dem für die vollstationäre Pflege geltenden § 43 SGB XI fehlt.

4. Im Rahmen der Prüfung eines Leistungsanspruchs gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Abgrenzung zwischen der Vorhaltepflicht des Heimträgers und der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 18. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin E., C-Straße, A-Stadt, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den Beschwerderechtszug bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, hilfsweise der Beigeladenen, sie mit einem Huntington-Bett - SAVI Bett der Firma H. Deutschland GmbH - (im Folgenden: Huntington-Bett) zu versorgen.

Die 1988 geborene und unter Betreuung stehende Klägerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich pflegeversichert und bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Bei ihr wurde der Pflegegrad 5 festgestellt. Sie leidet an der Huntington-Krankheit im klinischen Stadium V von V und wohnt in einer vollstationären Pflegeeinrichtung.

Die Antragstellerin beantragte über ihre frühere Betreuerin die Kostenübernahme für ein Huntington-Bett. Dem Antrag fügte sie die Verordnung eines „ChoReha B“ Spezialbettes der Firma SAVI mit Sondermaßen für Pflege und Therapieanwendungen 200 x 120 cm mit Komplettpolsterung aller erreichbaren Bauteile der Berufsausübungsgemeinschaft Dr. G./S./Dr. K. vom 13. Dezember 2022 und einen Kostenvoranschlag für das Bett inklusive Zubehör vom 4. Januar 2023 über einen Betrag in Höhe von 13.134,34 Euro bei. Der Kostenvoranschlag enthält den Hinweis, dass das Hilfsmittel überwiegend zum unmittelbaren Behinderungsausgleich (Schutz vor Verletzungen) und für Therapieanwendungen benötigt werde. Der Aspekt der Pflegeerleichterung sei nachrangig.

Mit Bescheid vom 11. Januar 2023 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für das begehrte Huntington-Bett ab. Stationäre Pflegeeinrichtungen hätten eine nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse ausreichende und angemessene Pflege sicherzustellen und das dafür typische Inventar bereitzustellen. Hierzu gehöre auch der Einsatz und die Vorhaltung einer angemessenen Sachausstattung mit Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln. Das beantragte Produkt werde im Rahmen des üblichen Pflegebetriebs und/oder zur Erfüllung des Versorgungsauftrages eingesetzt. Die Kosten seien mit dem Pflegesatz bzw. den Investitionsaufwendungen abgegolten.

Unter dem 31. Januar 2023 legte die Antragstellerin über ihre Betreuerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die betreuende Einrichtung ausweislich des Versorgungsvertrags nach § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nicht auf die Grundpflege und Versorgung der Chorea Huntington-Erkrankung spezialisiert sei. Es bestehe daher keine Vorhaltepflicht der Pflegeeinrichtung, die im Übrigen immer individuell (Einrichtungsstruktur, Bewohnerklientel, notwendiger Behinderungsausgleich) geprüft werden müsse. Das beantragte Spezial-Bett sei zudem in seiner zum Behinderungsausgleich erforderlichen individuellen Konfiguration nur für die Antragstellerin einsetzbar. Es diene dabei nicht ausschließlich der Grundpflege, sondern sei eine an die Bedürfnisse des Behinderungsausgleichs, zur Gefahrenabwehr und zur Therapie (Krankenbehandlung) individuell angepasste Versorgung. Die nötigen Voraussetzungen seien durch eine Bereitstellung eines üblichen PG 50 Standard-Pflegebettes, z.B. mit Git...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge