Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. unklare Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Anforderung an Leistungsverweigerung. Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht. keine vorläufige Leistungsgewährung. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Nachweis bzw zur Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit bei unklaren Einkommensverhältnissen.
2. Zur Aufklärungspflicht des Grundsicherungsträgers und Mitwirkungspflicht des Arbeitsuchenden an dieser bei berechtigten Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit.
Orientierungssatz
1. Sozialleistungsträger dürfen existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern, die sich auf vergangene Umstände stützen, wenn diese über die gegenwärtige Lage eines Hilfebedürftigen keine eindeutigen Erkenntnisse ermöglichen (vgl BVerfG vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 = Breith 2005, 803). Die schlichte Behauptung des Sozialleistungsträgers, es sei weiteres Vermögen oder weitere Einnahmen vorhanden, ist für die Leistungsverweigerung nicht ausreichend.
2. Bei einem Hilfebedürftigen, dessen persönliche Glaubwürdigkeit aufgrund besonderer Umstände erschüttert ist, besteht eine gesteigerte Nachweisobliegenheit in dem Sinne, dass widerspruchsfreie und lückenlose Nachweise in Form beweiskräftiger Urkunden bzw Zeugenaussagen zu erbringen sind.
3. Erfüllt der Hilfebedürftige diese Erfordernisse nicht, so kommt eine selbst vorläufige Leistungsgewährung nicht in Betracht.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 2 S. 1; SGB X §§ 20, 21 Abs. 2; SGB I § 60
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. April 2008 aufgehoben.
II. Der Antrag des Antragstellers vom 2. April 2008 auf einstweiligen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1953 geborene Antragsteller ist schwerbehindert (GdB 90, Nachteilsausgleiche “G„, “RF„). Er bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wurden ihm zuvor ab Februar 1991 gewährt.
Seit Juni 1980 wohnt der Antragsteller in einer 98 m² großen Vierzimmerwohnung in der A-Straße, A-Stadt, für deren Grundmiete er nach Aktenlage 454,93 € zuzüglich 85,00 € Heizkosten und 36,74 € Betriebskosten - insgesamt 576,67 € monatlich - zu zahlen hat (Bl. 188 der Verwaltungsakte).
Von der Antragsgegnerin werden bereits seit Leistungsbeginn nur die angemessenen Unterkunftskosten geleistet. Zur Sicherung des vorhandenen Wohnraumes erhielt der Antragsteller daneben von einem Bekannten ein zweckgebundenes Darlehen in Höhe von 250,00 € monatlich. In einem früheren zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreit war bereits die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers und die Bewertung des Darlehens bei der Leistungsgewährung streitig. Mit Beschluss vom 8. Mai 2007 (Az.: L 7 AS 24/07 ER) verpflichtete das Hessische Landessozialgericht die Antragsgegnerin, dem Antragsteller bis zur abschließenden Verwaltungsentscheidung, längstens bis August 2007, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang unter Anrechnung des ihm zufließenden Privatdarlehens (200,00 € mtl.) zu gewähren.
Unter dem 24. Mai 2007 teilte der Antragsteller mit, das Privatdarlehen künftig nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Daraufhin bewilligte die Antragsgegnerin ihm mit Bescheid vom 30. Mai 2007 bis einschließlich Mai 2007 Leistungen mit Einkommensanrechnung, für die Zeit ab Juni 2007 ohne diese. Bis einschließlich Januar 2008 erhielt der Antragsteller monatlich 732,90 € (Regelsatz: 347,00 €, Kosten für Unterkunft und Heizung: 385,90 €).
Im Rahmen der Folgeantragstellung im Januar 2008 erklärte der Antragsteller auf Nachfrage der Antragsgegnerin, dass bei ihm keine Mietrückstände aufgelaufen seien und begründete dies mit einer extremen Einschränkung der Ausgaben für den Lebensunterhalt.
Darüber hinaus habe er auf privaten Flohmärkten Teile seines Inventars (Bücher, Platten, ältere Möbel, Bekleidungsgegenstände, Hausrat) veräußert und dadurch im Durchschnitt ca. 150,00 € im Monat erlöst. Bei der Energieversorgung A. AG (E.) bestünden erhebliche Rückstände. Mit Schreiben vom 26. Februar 2008 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, konkrete, detaillierte Angaben und Nachweise u.a. zu den behaupteten erfolgten Verkäufen zu machen und eine Erklärung zu den noch vorhandenen Vermögensgegenständen abzugeben.
In Beantwortung der Anfrage wies der Antragsteller einen Rückstand von Energiekosten in Höhe von 744,00 € nach (Schreiben E. vom 29. Februar 2008). Er teilte mit, nicht alle konkreten Gegenstände, die auf den Flohmärkten verkauft worden seien und die Erlöse jeweils hierfür benennen zu können. Für eine alte, ca. 25 Jahre alte Lederjacke habe er - soweit erinnerlich - 80,00 € erzielt. Schallplatten habe er zum Teil für ein Betrag von je 1,00 € verkauft, für eine ältere Nachttischlampe habe er 15,00 € erhalten. Von ...