Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossenen Ausländers auf Überbrückungsleistungen des Sozialhilfeträgers - Unionsbürger
Orientierungssatz
1. Ist ein Ausländer mangels eines bestehenden Aufenthaltsrechts von Leistungen der Grundsicherung nach § 7 SGB 2 ausgeschlossen, so sind ihm Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 S. 3, 5 SGB 12 zu gewähren.
2. Danach wird hilfebedürftigen Ausländern bis zur Ausreise, längstens für einen Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren eingeschränkte Hilfe gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken.
3. Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß.
4. Ein Unionsbürger kann die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat in Anspruch nehmen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 2023 abgeändert. Die Beigeladene wird vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 SGB XII für den Zeitraum vom 14. März 2023 bis 13. April 2023 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den Beschwerderechtszug bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Gewährung existenzsichernder Leistungen an die Antragstellerin.
Die 2001 geborene Antragstellerin lebt mit ihrem Lebenspartner und den in den Jahren 2019, 2020, 2021 und 2023 geborenen gemeinsamen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft. Alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind rumänische Staatsangehörige.
Der Lebenspartner der Antragstellerin war vom 1. Juni 2022 auf Minijobbasis erwerbstätig bei einer Sicherheits- und Servicedienstleistungsfirma. Die Gehaltsauszahlung erfolgt trotz Konto der Antragstellerin in bar. Mit Kündigung vom 1. Juni 2023 wurde das Arbeitsverhältnis zum 15. Juni 2023 gekündigt.
Seit dem 24. Juni 2022 lebt die Familie in der A-Straße, A-Stadt.
Am 27. Juli 2022 beantragte der Lebenspartner der Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Bedarfsgemeinschaft bei dem Antragsgegner. Im Antrag fehlt die Angabe, wann die Einreise nach Deutschland erfolgte.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2023 bewilligte der Antragsgegner vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Lebenspartner der Antragstellerin und die gemeinsamen Kinder für Juli 2022 bis Dezember 2022. Im Übrigen lehnte der Antragsgegner den Antrag für die Antragstellerin aufgrund eines fehlenden Arbeitnehmerstatus ab.
Hiergegen legte die Antragstellerin unter dem 7. Februar 2023 Widerspruch ein. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin trug vor, dass sie der Auffassung sei, dass ihr als sorgeberechtigtem Elternteil der minderjährigen freizügigkeitsberechtigten Kinder ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 Satz 1 Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und Art. 18 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zustehe, so dass ein Leistungsausschluss nicht greife. Die Kinder seien auf die Betreuung durch die Antragstellerin angewiesen; eine Ausreise sei nicht zumutbar.
Am 16. Februar 2023 stellte die Bedarfsgemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Januar 2023 wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2023 zurück, weil die Antragstellerin von Leistungen ausgeschlossen sei, da sich ihr Aufenthaltsrecht alleine zum Zwecke der Arbeitssuche ergebe.
Am 14. März 2023 hat die Antragstellerin Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Antrag gestellt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ab Antragstellung für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Zur Begründung wiederholte sie ihren Vortrag im Widerspruchsverfahren und fügte hinzu, dass das Existenzminimum nicht gesichert sei, so dass Eilrechtsschutz erforderlich wäre.
Mit Bescheid vom 5. April 2023 bewilligte der Antragsgegner dem Lebenspartner der Antragstellerin und den gemeinsamen Kindern vom 1. Februar 2023 bis 31. Juli 2023 vorläufige Leistungen in Höhe von 1.125,01 Euro monatlich. Am 14. April 2023 hat der Antragsgegner einen Änderungsbescheid erlassen, mit dem vom 1. Mai 2023 bis 31. Juli 2023 vorläufige Leistungen in Höhe von 975,01 Euro bewilligt wurden.
Die Prozessbevollmächtigte hat für die Antragstellerin am 17. April 2023 Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. April 2023 eingelegt.
Mit Beschluss vom 1. Juni 2023 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt und in der Entscheidung ausgeführ...