Entscheidungsstichwort (Thema)
Absehen von einer Vertreterbestellung für einen prozessunfähigen Verfahrensbeteiligten bei offensichtlich haltlosem Rechtschutzbegehren
Orientierungssatz
1. Für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende nach § 72 Abs. 1 SGG für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen.
2. Davon kann abgesehen werden, wenn das Rechtschutzbegehren des Prozessunfähigen offensichtlich haltlos ist. Dies ist insbesondere bei absurdem Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz bzw. bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen.
3. Ist das Rechtschutzbegehren derart offensichtlich haltlos, so kann eine erhobene Klage auch ohne Vertreterbestellung als unbegründet zurückgewiesen werden. Das Absehen von einer Vertreterbestellung tangiert in einem solchen Fall den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG nicht.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der 1957 geborene Kläger bezieht seit längerem Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und führt seitdem zahllose Gerichtsverfahren gegen den Beklagten. In den Jahren 2009 bis 2013 hat er beim erkennenden Senat jährlich ca. 100 neue Verfahren anhängig gemacht, im Jahre 2014 annähernd 200 neue Verfahren und in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt jeweils mehr als 200 neue Verfahren.
Mit seiner am 3. Juni 2013 bei dem Sozialgericht Kassel erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, über seine Anträge vom 30. September 2010 und vom 21. Oktober 2011 zu entscheiden.
Das Sozialgericht hat diese Klage mit dem im Tenor genannten Urteil als unzulässig abgewiesen, weil dem Kläger die erforderliche Prozesshandlungsfähigkeit fehle. Der Bestellung eines besonderen Vertreters bedürfe es nicht Die Begehren des Klägers seien offensichtlich haltlos.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter und beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 2015 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, über seine Anträge vom 30. September 2010 und vom 21. Oktober 2011 zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er sieht sich in seiner Auffassung durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 11. April 2017 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Hinsichtlich des zur Prozessfähigkeit des Klägers eingeholten Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. C. vom 27. Juni 2013 und der nachfolgenden Korrespondenz mit dem Kläger wird insbesondere auch auf den Inhalt der Gerichtsakte L 6 AS 397/12 B ER Bezug genommen.
II.
Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten von der in § 153 Abs. 4 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und zur Beschleunigung des Verfahrens durch Beschluss entschieden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Obwohl der Kläger prozessunfähig ist, bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Bestellung eines besonderen Vertreters, weil das Rechtsschutzbegehren offensichtlich haltlos ist.
Wie sich aus § 71 Abs. 1 SGG ergibt, ist ein Beteiligter prozessunfähig, soweit er sich nicht durch Verträge verpflichten kann. Dies ist unter anderem der Fall bei Personen, die nicht geschäftsfähig im Sinne des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind, weil sie sich im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden und deshalb nicht in der Lage sind, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl. BSG vom 15. November 2012 - B 8 SO 23/11 R = SozR 4-1500 § 72 Nr. 2).
Ausgehend von diesem Maßstab hält der Senat an der Auffassung fest, dass der Kläger zumindest seit April 2009 andauernd prozessunfähig ist.
Nach dem im Verfahren L 6 AS 397/12 B ER vom erkennenden Senat eingeholten und auch im vorliegenden Rechtsstreit zu verwertenden Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. C. vom 27. Juni 2013 leidet der Kläger jedenfal...