Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer. Unionsbürger. gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren. fehlende Bestandskraft der Verlustfeststellung. Arbeitnehmereigenschaft bei Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Tatbestandswirkung der Verlustfeststellung
Orientierungssatz
1. Das Bestehen eines Aufenthaltsrechts ist keine Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland. Daher ist der zukunftsoffene Aufenthalt für das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltes ausreichend. Der Aufenthalt ist so lange zukunftsoffen, wie nicht bestandskräftig oder durch eine für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung der Ausländerbehörde festgestellt worden ist, dass ein Aufenthaltsrecht des Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr besteht, oder bis der Betroffene freiwillig beabsichtigt auszureisen (vgl LSG Halle vom 4.2.2015 - L 2 AS 14/15 B ER = NZS 2015, 351 = juris RdNr 25).
2. Die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004 durch die Ausländerbehörde und die Begründung der Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU 2004 haben, solange der Bescheid nicht bestandskräftig und auch nicht für sofort vollziehbar erklärt worden ist, keine Auswirkungen auf den bereits bestehenden Anspruch nach § 7 Abs 1 S 4 Halbs 1 SGB 2.
3. Die Arbeitnehmereigenschaft des Betroffenen ist nicht deshalb zu verneinen, weil für das Beschäftigungsverhältnis bisher keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden.
4. Die Tatbestandswirkung der Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde beinhaltet nur die nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU 2004 erfolgte Feststellung des Nichtbestehens des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. Februar 2018 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zum 31. August 2018 zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern 11/12 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die am 8. März 2018 beim Sozialgericht eingegangene Beschwerde der Antragsteller mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. Februar 2018 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), hilfsweise nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), in gesetzlicher Höhe für die Zeit ab Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht bis zum Ablauf des Folgemonats der Entscheidung des Senats zu gewähren,
ist zulässig und mit dem Hauptantrag in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Beschwerde war zurückzuweisen, soweit die Antragsteller Leistungen für die Zeit ab Antragseingang (9. November 2017) bis zum 30. November 2017 begehren. Für diesen Zeitraum hat der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 18. Mai 2017 ergänzende Leistungen vorläufig bewilligt. Der Antrag ist daher insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Im Übrigen kann der die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. Februar 2018 keinen Bestand haben.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen entgegen der Auffassung des Sozialgerichts jedenfalls für die Zeit ab 1. Dezember 2017 vor.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf Leistungen nach dem SGB II glaubhaft gemacht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB II sieht der Senat als erfüllt an. Nach dem Vortrag der Beteiligten und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen sind keine Tatsachen ersichtlich, aus denen auf eine - dauerhafte - Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers zu 2. geschlossen werden könn...