Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Auszubildende und Studenten. Ausbildungsförderung. besonderer Härtefall. Ermessen. zuständige Behörde iS des § 34 Abs 1 S 1 SGB 10. Bindungswirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat eine alleinerziehende Frau mit vier Kindern auf Grund einer Zusage des Sozialhilfeträgers ein 6-semestriges Studium aufgenommen und bereits die Hälfte davon absolviert und hat sie begründete Aussicht, nach der Ausbildung eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können, liegt iS des § 7 Abs 5 S 2 SGB 2 eine Härte vor. Im Rahmen der einstweiligen Anordnung ist der Träger der Leistungen verpflichtet, vorläufig Leistungen als Darlehen zu erbringen.

 

Orientierungssatz

1. Das nach dem Wortlaut des § 7 Abs 5 S 2 SGB 2 eingeräumte Ermessen ist auf den Umfang der Hilfe begrenzt.

2. Zuständige Behörde iS des § 34 Abs 1 S 1 SGB 10 ist diejenige, die für den Erlass des späteren Verwaltungsaktes sachlich und örtlich zuständig ist.

3. Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind hinsichtlich der erwerbsfähigen Hilfeempfänger Funktionsnachfolger der bisher für Ansprüche nach dem BSHG zuständigen Sozialhilfeträger.

4. Fällt die Zuständigkeit der die Zusicherung nach § 34 Abs 1 S 1 SGB 10 abgebenden Behörde nachträglich aufgrund von Umständen weg, die die Behörde nicht beeinflussen kann, zB bei einer Änderung der örtlichen Zuständigkeit infolge Wohnortwechsels, erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf die nach einem Wohnortwechsel örtlich zuständig gewordene Behörde.

5. Die Bindungswirkung der Zusicherung erstreckt sich jedoch nicht auf die Bewilligung der Leistung in Form eines Zuschusses, soweit die Leistung ab 1.1.2005 nach § 7 Abs 5 SGB 2 nur noch als Darlehen gewährt werden kann.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 23. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) während ihres Studiums.

Die Antragstellerin ist allein erziehend und lebt mit ihren vier minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft.

Seit dem Sommersemester 2004 studiert die Antragstellerin Deutsch, Englisch und Kunst für das Lehramt an Grundschulen an der J-Universität A-Stadt. Bereits zuvor hatte die Antragstellerin vom Sommersemester 1984 bis Wintersemester 1984/1985 Englisch und Kunst für das Lehramt an Haupt- und Realschulen und vom Sommersemester 1985 bis einschließlich Wintersemester 1986/1987 Vor- und Frühgeschichte mit dem Abschluss Magister an der J-Universität A-Stadt studiert.

Für das im Jahr 2004 begonnene Studium lehnte das Studentenwerk A-Stadt - Amt für Ausbildungsförderung - die Gewährung von Ausbildungsförderung durch Vorabentscheidung vom 27. Juni 2002 mit der Begründung ab, schon für den ersten Studienwechsel habe ein wichtiger Grund nicht vorgelegen. Dahingestellt bleiben könne, ob für den weiteren Wechsel ein wichtiger Grund bestehe und ob das Überschreiten der Altersgrenze dem Anspruch entgegenstehe.

Vor Aufnahme des im Jahre 2004 begonnenen Studiums bezog die Antragstellerin Sozialhilfe vom Sozialamt der Stadt A-Stadt.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2003 teilte die Stadt A-Stadt der Antragstellerin mit, nach reiflicher Prüfung des Gesamtsachverhaltes sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der besonderen persönlichen Situation der Antragstellerin derzeit nicht als Voraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen erachtet werden könne. Die Verpflichtungen nach §§ 18 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) seien daher in ihrem Fall derzeit nicht umsetzbar. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen sei daher auch die mögliche Aufnahme eines von der Antragstellerin gewünschten Studiums ab Sommersemester 2004 nicht als Ursache für den notwendigen Sozialhilfebezug zu bewerten. Die Ausschlusstatbestände hinsichtlich der Sozialhilfegewährung nach § 26 BSHG seien daher ebenfalls nicht anwendbar. Bei unverändert bestehender Notlage und unveränderter persönlicher Situation im Monat April 2004 werde der Antragstellerin Sozialhilfe weiterhin, auch während der angemessenen Dauer ihres Pädagogik-Studiums ab Sommersemester 2004 an gewährt werden.

In der Folgezeit gewährte die Stadt A-Stadt der Antragstellerin und ihren vier Kindern Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des BSHG, zuletzt durch Bescheid vom 24. November 2004 bis einschließlich 31. Dezember 2004.

Bereits am 27. September 2004 beantragte die Antragstellerin für sich und ihre Kinder Leistungen nach dem SGB II bei der Antragsgegnerin.

Mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 bewilligte die Antragsgegnerin den Kindern der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis einschließlich 31. Mai 2005. Für die Antragstellerin lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen mit der Begründung ab, sie habe als Studentin dem Grunde nach Ans...

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