Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Elterngeld. verspätete Antragstellung. Überprüfungsantrag. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB 10. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Orientierungssatz

1. Für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in entsprechender Anwendung des § 44 Abs 4 S 1 SGB 10 eine Ausschlussfrist von vier Jahren (vgl BSG vom 24.4.2014 - B 13 R 23/13 R= UV-Recht Aktuell 2014, 721 mwN).

2. § 27 SGB 10 findet auf die Frist des § 44 Abs 4 S 1 SGB 10 keine Anwendung (vgl LSG Stuttgart vom 15.12.2015 - L 11 EG 2526/15 = ZFSH/SGB 2016, 191).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.02.2021; Aktenzeichen B 10 EG 2/20 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. März 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die kindsbezogene Gewährung von Elterngeld nach den Vorschriften des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens streitig.

Die 1976 geborene Klägerin ist seit dem 22. November 2007 mit dem 1974 geborenen C. A. verheiratet. Sie sind die Eltern der 2009 geborenen Zwillinge D. und C..

Am 11. Februar 2009 beantragte die Klägerin die Gewährung von Elterngeld für ihren Sohn C. für den Zeitraum ab der Geburt für zwölf Lebensmonate. Sie beantragte Elterngeld in Höhe des Mindestbetrages von monatlich 300 € und gab in dem formularmäßigen Vordruck an, keine Erwerbstätigkeit nach der Geburt der Kinder auszuüben. Mit Bescheid vom 17. Februar 2009 kam der Beklagte diesem Antrag nach und gewährte Elterngeld für den Zeitraum vom 4. Februar 2009 bis 3. Februar 2010 in Höhe von 600 € monatlich. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, dass sich das zustehende Elterngeld bei Mehrlingsgeburten um je 300 € für das zweite und jedes weitere Kind erhöhe.

Am 6. Januar 2014 sprach die Klägerin bei dem Beklagten persönlich vor und beantragte die Neuberechnung des Elterngeldes für ihre Kinder aufgrund der Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Juni 2013. Im Laufe des gleichen Tages sprach auch der Ehemann der Klägerin bei dem Beklagten vor. Zu beiden Vorsprachen finden sich Aktenvermerke in der Verwaltungsakte des Beklagten.

Mit Bescheid vom 7. Januar 2014 gewährte der Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag vom 6. Januar 2014 für ihren Sohn D. Elterngeld für die Zeit vom 1. Januar bis 3. Januar 2010 in Höhe von 58,06 € sowie für die Zeit vom 4. Januar bis 3. Februar 2010 in Höhe von 600 €. Die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 1 BEEG seien ab dem 1. Januar 2010 erfüllt. Eine nachträgliche Gewährung erfolge in Anwendung des richterrechtlichen Rechtsinstitutes des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. In analoger Anwendung des § 44 Abs. 4 Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sei die Rückwirkung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begrenzt. Das Elterngeld werde längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen sei. Diese Frist werde vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Gewährung weiterer Elterngeldansprüche für weitere Mehrlinge beantragt werde. Maßgebend sei hierfür das Eingangsdatum des Antrages auf das kindbezogene Elterngeld für den weiteren jüngeren Mehrling. Die Rückwirkung des vorliegenden Antrages ende danach am 1. Januar 2010. Eine Elterngeldzahlung für Zeiträume vor diesem Zeitpunkt sei wegen der zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung nicht möglich. Der Anspruch bestehe bis zum 3. Februar 2010.

Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Februar 2014 Widerspruch und trug vor, dass sie bereits am 13. Dezember 2013 einen Antrag auf Elterngeld für ihren Sohn D. auf insgesamt zwölf Elterngeldmonate gestellt habe. Sie hätte beabsichtigt, diesen Antrag persönlich abzugeben. Als ihr Ehemann und sie am Nachmittag des 13. Dezember 2013 die Elterngeldstelle bereits verschlossen vorfanden, habe ein in dem Gebäude beschäftigter Herr die Schranke geöffnet, damit der Antrag in den Behördenbriefkasten habe eingeworfen werden können. Um sich nach der Bearbeitung dieses Antrages zu erkundigen, habe sie am 6. Januar 2014 sodann den Beklagten aufgesucht. Der Sachbearbeiter habe in seinem PC keinen Vorgang gefunden und habe ihr dann ohne weitere Erklärung ein Schriftstück vorgelegt, dass er sie habe unterschreiben lassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Ermittlungen im Haus des Beklagten hätten ergeben, dass der von der Klägerin behauptete Antrag vom 13. Dezember 2013 nicht vorliege. Bei ihrer persönlichen Vorsprache am 6. Januar 2014 sei eine Nachfrage bezüglich des am 13. Dezember 2013 in den Briefkasten eingeworfenen Antrages laut Gesprächsvermerk nicht dokumentiert. Auch bei der persönlichen Vorsprache des E...

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