Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel. Myo-Orthese (Fußheberorthese) für unmittelbaren Behinderungsausgleich stellt keine neue Behandlungsmethode dar. kein Bedarf an einer positiven Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses
Leitsatz (amtlich)
Dient eine Myo-Orthese dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bedarf es keiner positiven Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. März 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für Walk- Aide-Myo-Orthesen zu erstatten hat.
Der 1982 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger erlitt im Jahr 2010 einen Sportunfall. Hierbei kam es zu einer Schädigung des Rückenmarkes im HWS-Bereich, welche zu einer inkompletten Querschnittslähmungssymptomatik (Tetraparese mit beidseitiger Fußheberparese) führte.
Nach einem entsprechenden Training bei der D. GmbH beantragte der Kläger am 30. Juni 2016 die beidseitige Versorgung mit zwei Myo-Orthesen “Walk Aide 1000„ nebst Zubehör. Er legte eine Heilmittelverordnung seiner Hausärztin Dr. E. vom 27. Juni 2016 unter Beifügung eines “Patientenerfassungs- und Auswertungsbogen„ der F. GmbH vom 22. Juni 2016 sowie eines Kostenvoranschlags vom 27. Juni 2016 über insgesamt 10.598,01 € vor.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Einsatz des Hilfsmittels sei Teil eines ärztlichen Therapiekonzepts in der Häuslichkeit und damit als neue Behandlungsmethode zu werten. Die erforderliche Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) liege nicht vor. Ferner existierten keine wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien, welche die Zahl der behandelnden Fälle und die Wirksamkeit der Methode erkenne ließen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Es handele sich in erster Linie um ein Mobilitätshilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein. Dr. G. (Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie) kam - nach Auswertung eines ergänzenden Berichtes des Neurochirurgen Dr. H. vom 27. August 2016 und der Videodokumentation der D. GmbH - unter dem 30. September 2016 zu der Einschätzung, dass nicht habe festgestellt werden können, dass im Fall des Klägers eine Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel einer geeigneten konfektionierten Orthese überlegen sei. Ein wesentlicher Gebrauchsvorteil sei aufgrund des Videos nicht erkennbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 17. Januar 2017 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass er lediglich mit einfachen Unterschenkelorthesen versorgt sei, welche seine Behinderung nicht hinreichend ausgleichen könnten. Das streitige Hilfsmittel würde seine Behinderung verringern und ihn wieder in die Lage versetzen, besser laufen zu können. Bei dem Hilfsmittel handele es sich um ein Gerät zur funktionellen Elektrostimulation, das im Alltag getragen werde und durch elektrische Impulse die Wadenmuskulatur wieder zur Kontraktion bringe. Die elektrischen Signale auf den Wadenbeinnerv würden die Muskulatur auffordern, den Fuß zum richtigen Zeitpunkt anzuheben. Dies ermögliche ein Laufen ohne die bisherige, durch abgesenkte Fußspitze bestehende Sturzgefahr. Dieser Grad der Immobilität lasse sich mit einer so genannten Peronaeusschiene nicht erreichen, da diese lediglich bewirke, dass die Fußspitze nicht absinke. Da es um einen unmittelbaren Behinderungsausgleich ginge, könne sich die Beklagte auch nicht auf fehlende Wirtschaftlichkeit berufen. Ferner handele es sich nicht um eine neue Behandlungsmethode. Selbst wenn das Gerät nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sei, gehöre es zur Gruppe der dort erwähnten und anerkannten Hilfsmittel mit gezielter Elektrostimulation. Der Kläger hat eine Rechnung der D. GmbH vom 11. Juli 2016 i.H.v. 10.598 € vorgelegt, welche er am 11. Juli 2016 beglichen hat.
Die Beklagte hat dagegen vorgebracht, dass es sich nicht um ein Hilfsmittel, sondern um eine neue Behandlungsmethode handele, welche seitens des GBA bisher nicht positiv bewertet worden sei. Der MDK habe keine deutlichen Gebrauchsvorteile für den Kläger feststellen können. Das Hilfsmittel trainiere die Muskeln auch, wenn der Nutzer gar nicht laufe. Dies übersteige das notwendige Maß eines Hilfsmittels und stelle eine neue Behandlungsmethode dar. Diese Methode habe keinen Eingang in den Leistungskatalog des einheitlichen Bewertungsmaßstabes ärztlicher Leistungen (EBMÄ) gefunden und sei vom GBA nicht empfohlen worden. Zwar umfasse der EBMÄ bereits Gebührenziffern für Elektrostimulation. Jedoch sei auch bei einer bereits anerkannten Behandlungsmethode eine erneute Prüfung erforderlich, ...