Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. Gleichbehandlungsgebot. Geltungsbereich. Familienangehöriger. Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit. Arbeitserlaubnis-EU nach § 284 Abs 3 SGB 3 iVm § 39 Abs 2 bis 4 AufenthG 2004. nachrangiger Arbeitsmarktzugang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss für Ausländer nach § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 gilt für Unionsbürger aufgrund des Gebots der Inländergleichbehandlung aus Art 4 EGV 883/2004 zumindest dann nicht, wenn sie Leistungen nach Art 3 Abs 1 EGV 883/2004 erhalten oder erhalten haben.

2. Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs 2 Nr 6 FreizügG/EU (juris: AufenthG 2004) einer freizügigkeitsberechtigten Person sind nicht die nichtehelichen Partner.

3. Erwerbsfähig nach § 8 Abs 2 SGB 2 ist ein Unionsneubürger aus Rumänien oder Bulgarien bereits dann, wenn er allein aus Gründen der Nachrangigkeit einer Arbeitserlaubnis bedarf (sogenannter nachrangiger Arbeitsmarktzugang). Das ist anzunehmen, wenn die Arbeitserlaubnis nach § 284 Abs 3 SGB 3 iVm § 39 Abs 2 bis 4 AufenthG (juris: AufenthG 2004) erteilt werden kann. Das gilt auch für die Rechtslage vor dem 1.4.2011.

 

Tenor

I. 1. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Januar 2011 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, längstens bis zum 31. August 2011, den Antragstellern Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ab dem 24. November 2010 zu zahlen.

2. Der Antragsgegner hat den Nachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 24. November 2010 bis 31. Juli 2011 in Höhe eines Vorschusses von mindestens 4.800,00 € bis zum 28. Juli 2011 an die Antragsteller auszuzahlen.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Kosten beider Instanzen zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die am 26. Februar 2011 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main (SG) vom 24. Januar 2011, ihnen zugestellt am 27. Januar 2011, mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Januar 2011 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache den Antragstellern Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu zahlen,

sowie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen,

hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Dabei hat der Senat es im einstweiligen Rechtsschutz dahingestellt sein lassen, ob die Antragstellerin zu 1 oder der Antragsteller zu 2 allein oder gemeinsam das Sorgerecht für die Antragsteller zu 3 bis 7 ausüben. In jedem Fall liegt eine wirksame Vertretung der Kinder und Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten vor, da beide Elternteile den Rechtsstreit gemeinsam auch für ihre Kinder führen.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen dem Grunde nach vor.

Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung - vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit ...

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