Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit bei beantragter Erwerbsminderungsrente und Bestehen eines sechsstündigen Leistungsvermögens

 

Orientierungssatz

1. Ist ein vor 1961 geborener Versicherter auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und kann er noch mindestens sechs Stunden täglich unter den in Betrieben üblichen Arbeitsbedingungen erwerbstätig sein, so hat er weder einen Anspruch auf Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine konkrete Verweisungstätigkeit ist nicht zu benennen.

2. Kann der Versicherte noch sechs Stunden am Tag Arbeiten verrichten, so hängt dessen Erwerbsfähigkeit nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Allenfalls besteht für einen solchen Versicherten ein Anspruch gegen den Träger der Arbeitslosenversicherung bzw. der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1957 geborene Kläger verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er war seit dem Jahr 1972 als Bauarbeiter/Einschaler und ab dem Jahr 1981 mit Unterbrechungen als Hilfsarbeiter, zuletzt als Möbelmonteur bei einer Speditions- und Küchenfirma, versicherungspflichtig erwerbstätig, bevor er am 11. November 2009 arbeitsunfähig erkrankte.

Einen ersten, vom Kläger am 1. Februar 2011 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte auf der Grundlage eines Rentengutachtens des Sozialmediziners Dr. med. F. vom 5. Mai 2011 durch Bescheid vom 12. Mai 2011 und Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 ab. Die nachfolgend vor dem Sozialgericht Kassel (Az.: S 10 R 518/11) erhobene Klage nahm der Kläger nach Einholung und Auswertung diverser Befundberichte und medizinischer Unterlagen am 2. August 2012 zurück.

Am 22. Oktober 2012 stellte der Kläger sodann bei der Beklagten den hier maßgeblichen zweiten Rentenantrag, zu dessen Begründung er verschiedene weitere Krankenunterlagen vorlegte und ausführte, sich seit dem Tag der Rentenantragstellung wegen Depressionen, eines chronischen Schmerzsyndroms, Nebenwirkungen wegen Tabletteneinnahme, eines akuten LWS-Syndroms mit Ausstrahlungen in beide Beine und Schwindelzuständen für erwerbsgemindert zu halten.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger daraufhin am 5. Dezember 2012 von der Fachärztin für Allgemeinmedizin G. untersucht, die in ihrem Rentengutachten vom 13. Dezember 2012 folgende Diagnosen stellte:

- Belastungsminderung der Lendenwirbelsäule nach mehrfacher Operation Spondylodese L4/5 2000 und Entfernung des Materials 11/2010, aktuell dorsale perkutane Stabilisierung und ventrale Re-Spondylodese L4/5 am 21.11.2012,

- Wiederkehrendes degeneratives HWS-Syndrom, zurzeit beschwerdearm,

- Bluthochdruck,

- Hüftgelenksarthrose beidseits ohne höhergradige Einschränkung der Funktion, bekannte Schwerhörigkeit beidseits (mit Hörgeräteversorgung im umgangssprachlichen Bereich ausgeglichen),

- Wiederkehrende Schwindelbeschwerden im Sinne von Lagerungsschwindel.

Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen mutete die Fachärztin G. dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (in wechselnder Körperhaltung, ohne besondere Anforderungen an das Hörvermögen, ohne Zwangshaltungen, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne Re- und Inklination, ohne Absturzgefahr, ohne besonderen Zeitdruck) für die Dauer von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr zu.

Gestützt auf diese Leistungsbeurteilung lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers durch Bescheid vom 27. Dezember 2012 und Widerspruchsbescheid vom 26. März 2013 mit der Begründung ab, dass bei dem Kläger keine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß vorliege.

Am 26. März 2013 begann der Kläger mit einer dreiwöchigen stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Kurhessen (Abteilung Orthopädie), Bad Soden-Allendorf, die ihm die Beklagte zuvor gewährt hatte.

Gegen die erneute Rentenablehnung erhob der Kläger am 12. April 2013 Klage vor dem Sozialgericht Kassel. Er legte diverse ärztliche Unterlagen vor und machte geltend, an einer Vielzahl von gesundheitlichen Störungen zu leiden, aufgrund derer er nicht mehr in der Lage sei, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten.

Demgegenüber berief sich die Beklagte insbesondere auf den zwischenzeitlich vorliegenden Entlassungsbericht der Klinik Kurhessen vom 29. April 2013, der bestätige, dass der Kläger mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in rentenberechtigendem Ausmaß erwerbsgemindert sei.

Das Sozialgericht zog zur weiteren Aufklärung des mediz...

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