Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei der Interessenabwägung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid überwiegt das Vollzugsinteresse des Leistungsträgers, wenn der Leistungsempfänger seinen Leistungsmissbrauch öffentlich zur Schau gestellt hat. keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen einen Aufhebungsbescheid über Leistungen zum Lebensunterhalt bei öffentlich zur Schau gestelltem Leistungsmissbrauch
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides über die Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II rechtfertigt grundsätzlich kein vorrangiges Vollzugsinteresse des Leistungsträgers.
2. Eine Ausnahme hiervon ist bei einem öffentlich zur Schau gestellten Leistungsmissbrauch anzunehmen. Dann besteht an der Korrektur dieses Leistungsmissbrauchs ein öffentliches Interesse.
Orientierungssatz
Ein Bezieher von Arbeitslosengeld II, der sich öffentlich gebrüstet hat, diese Leistungen trotz fehlender Bedürftigkeit zu beziehen, kann nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGG beanspruchen, wenn zudem konkrete Hinweise auf fehlende Bedürftigkeit vorliegen, da bei der vorzunehmenden Interessenabwägung das Vollzugsinteresse des Leistungsträgers überwiegt, weil ein öffentliches Interesse daran besteht, einen öffentlich zur Schau gestellten Leistungsmissbrauch rechtzeitig zu korrigieren.
Normenkette
SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2; SGB X § 45 Abs. 1, 2 S. 3 Nr. 2, Abs. 3-5, § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 2, S. 3, Abs. 4; SGB II § 40 Abs. 1; SGB III § 330 Abs. 2-3
Tenor
I. Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Januar 2009 werden zurückgewiesen.
II. Kosten des Beschwerdeverfahrens mit dem Az. L 7 AS 41/09 B ER sind auch nicht zu erstatten.
Gründe
Die am 7. Januar 2009 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) eingelegten Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des SG vom 2. Januar 2009 mit den sinngemäßen Anträgen,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Januar 2009 aufzuheben und
a) die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2008 anzuordnen, soweit die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit Bescheid vom 25. Juli 2008 für den Zeitraum ab 1. September 2008 bis 28. Februar 2009 zurückgenommen oder aufgehoben ist,
b) Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter anwaltlicher Beiordnung zu bewilligen.
sind zulässig, ohne in der Sache Erfolg zu haben.
1. Statthaft ist das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung anzuordnen, gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2 SGG.
Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen (Anfechtungs-) Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (S. 1). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen (S. 2).
Die Voraussetzungen liegen vor, weil dem Widerspruch des Antragstellers gemäß § 39 Nr. 1 SGB II gesetzlich keine aufschiebende Wirkung zukommt, soweit die Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung betroffen ist (so: Sächsisches LSG, 3.11.2008 - L 7 B 154/07 AS-ER; LSG Niedersachsen-Bremen, 30.7.2007 - L 8 AS 186/07; LSG Berlin-Brandenburg, 2.3.2007 - L 5 B 125/07 AS-ER; LSG Bad.-Württ., 21.11.2006 - L 8 AS 4680/06 ER-B; Thür. LSG, 14.8.2006 - L 7 AS 772/05 ER; LSG Schleswig-Holstein, 5.7.2006 - L 6 B 196/06 AS-ER; LSG Rhld.-Pf., 4.4.2006 - L 3 ER 46/06 AS; LSG NRW, 31.3.2006 - L 19 B 15/06 AS-ER; a.A. Hess. LSG, 17.7.2007 - L 9 AS 89/07 ER; LSG Sachsen-Anhalt, 27.04.2006 - L 2 B 62/06 AS-ER). Allein hinsichtlich der Erstattungsregelung kommt dem Widerspruch des Antragstellers ohnehin aufschiebende Wirkung zu, wie § 39 Nr. 1 SGB II idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) - SGB II F. 2009 - nach Auffassung des Senats mit Wirkung ab 1. Januar 2009 nur klarstellt (so auch: Sächsisches LSG, 10.12.2007 - L 2 B 442/07 AS-ER; Berlit, info also 2005, 3, 5; Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 39 Rn. 12; Groth, NJW 2007, 2294 f. und Udsching/Link, SGb 2007, 513, 518; anderer Auffassung zB der 3. Senat des Sächs. LSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. zB Beschlüsse vom 16. Juli 2007 - L 3 B 381/06 AS-ER und 1. November 2007 - L 3 B 292/07 AS-ER; jeweils m.w.N.).
Ist der Antrag damit zulässig, insbesondere statthaft, liegen gleichwohl die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht vor.
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Entscheidungserheblich ist, ob im Rahmen einer offenen Interessenabwägung ein...