Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer in den ersten drei Monaten des Aufenthalts. keine Anwendbarkeit auf Familienangehörige von Ausländern mit Arbeitnehmerstatus. erst recht keine Geltung für Familienangehörige von Deutschen. verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II besteht bei verfassungskonformer (Art. 6 GG) und europarechtskonformer (Art. 20 AEUV) einschränkender Auslegung der Norm nicht gegenüber solchen Ausländern, die gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge gegenüber einem minderjährigen unverheirateten Unionsbürger (Deutschen) eingereist sind.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1, 3, § 19 Abs. 1 Sätze 1-2; GG Art. 6 Abs. 1, 4, Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 5; FreizügG/EU § 2 Abs. 3, 5; Richtlinie 2004/38/EG Art. 24 Abs. 1; Unionsbürgerrichtlinie/EU Art. 24 Abs. 2; AEUV Art. 20; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2011 aufgehoben, soweit der Antragsgegner für die Zeit vom 31. Oktober bis 15. November 2011 verpflichtet worden ist, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern zwei Drittel der Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) vom 31. Oktober bis 12. Dezember 2011.

Die 1970 geborene und erwerbsfähige Antragstellerin zu 1) ist pakistanische Staatsangehörige und die Mutter des 2005 geborenen Antragstellers zu 2), der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Beide reisten am 13. September 2011 von Pakistan kommend mit einem am 5. September 2011 ausgestellten Visum nach Deutschland ein.

Am 31. Oktober 2011 beantragten die Antragsteller bei dem Antragsgegner die Gewährung von SGB II-Leistungen. Dabei gab die Antragstellerin zu 1) an, ihr Ehemann, von dem sie getrennt lebe, sei Deutscher. Sie habe in Pakistan gearbeitet, sei mit erspartem Geld nach Deutschland geflogen, mit dem Ziel, hier zu verbleiben. Unterhalt für den Antragsteller zu 2) sei (vom Kindesvater) nur in Pakistan gezahlt worden. Das mitgebrachte Bargeld sei nunmehr verbraucht. Auch werde eine Wohnung benötigt. Seinerzeit seien die Antragsteller bei einem Bekannten mietfrei untergekommen.

Die Antragstellerin zu 1) legte eine vorläufige Bescheinigung der Ausländerbehörde der Stadt A-Stadt vom 27. Oktober 2011 vor, wonach ihr eine Aufenthaltserlaubnis (gültig bis 1. Mai 2014) nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt worden war. Dort heißt es weiter, bis zur Aushändigung des noch herzustellenden (elektronischen) Aufenthaltstitels berechtige diese Bescheinigung in Verbindung mit einem bestehenden Aufenthaltsrecht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, zur Ausübung einer Beschäftigung sowie zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit.

Mit Bescheid vom 3. November 2011 lehnte der Antragsgegner die Anträge ab, weil nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ein Leistungsanspruch in den ersten 3 Monaten nach der Einreise in die BRD ausgeschlossen sei.

Dagegen legten die Antragsteller am 17. November 2011 Widerspruch ein und trugen wiederholend vor, der Ehemann der Antragstellerin zu 1) sei deutscher Staatsangehöriger und in Pakistan verblieben. Unterhalt (für den Antragsteller zu 2) sei lediglich in Pakistan gezahlt worden.

Am 15. November 2011 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Frankfurt am Main die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ab 31. Oktober 2011 beantragt und ergänzend vorgetragen, keinerlei Geld mehr zum Leben zu haben und außerdem nicht krankenversichert zu sein. Auch sei der Antragsteller zu 2) erkrankt. Sie seien zum Zwecke der Familienzusammenführung nach Deutschland eingereist. Die Unterhaltszahlungen seien leider noch nicht geklärt. Mittlerweile bestünden auch Probleme mit der Unterkunft. Sie seien gebeten worden, sich eine andere Unterkunft zu suchen.

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern als Bedarfsgemeinschaft vorläufig für den Zeitraum vom 31. Oktober 2011 bis 31. Januar 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenem Umfang zu gewähren.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Antragstellerin zu 1) habe das Bestehen einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II glaubhaft gemacht, so dass damit auch ein Anspruch des Antragstellers zu 2) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem genannten Gesetz glaubhaft sei. Darüber hinaus ...

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