Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnacherhebung. keine Rücknahme des zuvor ergangenen Beitragsbescheides erforderlich. Unerheblichkeit der nicht vergangenheitsbezogenen Entscheidung des BAG über die Tariffähigkeit der CZGP. rückwirkender Anwendung steht Vertrauensschutz nicht entgegen. keine Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Werden aufgrund einer Betriebsprüfung Beiträge nacherhoben, muss nicht zunächst der vorher ergangene Beitragsbescheid aufgehoben werden. Dies gilt jedenfalls, soweit die Bescheide unterschiedliche Sach- oder Rechtsfragen betreffen.
2. Im Rahmen der summarischen Prüfung ist es unbeachtlich, dass das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 = BAGE 136, 302 nicht über die Tariffähigkeit der CGZP in der Vergangenheit entschieden hat.
3. Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts stellt keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, die einer rückwirkenden Anwendung aus Gründen des Vertrauensschutzes entgegensteht.
Orientierungssatz
Der nachträglichen Beitragserhebung steht auch nicht das Rechtsinstitut der Verwirkung entgegen. Die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl BSG vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 = BSGE 47, 194 = SozR 2200 § 1399 Nr 11).
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.962,53 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 28. November 2011.
Die Antragstellerin betreibt seit Jahren ein Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. In den Arbeitsverträgen mit den bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmern wird für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2009 auf die Tarifverträge der Zeitarbeit, geschlossen zwischen der Tarifgemeinschaft XY. (XY.) und dem Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister, in seiner jeweiligen Fassung verwiesen. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütung zahlte die Antragstellerin die Sozialversicherungsbeiträge.
Nach Betriebsprüfung am 22. Oktober 2009 - Prüfzeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 - erhob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27. Oktober 2009 gegenüber der Antragstellerin eine Nachforderung in Höhe von 487,23 € im Hinblick auf geringfügige Beschäftigung von Studenten. Mit Änderungsbescheid vom 26. November 2009 reduzierte sie den Betrag auf 300,08 €.
Nach erneuter Betriebsprüfung in der Zeit vom 22. bis 24. August 2011 - Prüfzeitraum 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2009 - erhob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28. November 2011 eine Nachforderung in Höhe von 11.850,14 €. Die XY. sei nicht tariffähig. Damit sei § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) anzuwenden, so dass die von der Antragstellerin entliehenen Arbeitnehmer den Lohn beanspruchen könnten, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Entsprechend seien auch höhere Sozialversicherungsbeiträge zu erheben. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 Widerspruch.
Am 14. Januar 2012 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht Darmstadt beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
Mit Beschluss vom 27. Februar 2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Aufgrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 stehe fest, dass die XY. weder eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung noch eine tariffähige Spitzenorganisation darstelle. Hinsichtlich der Rückwirkung für die Vergangenheit liege zwar noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Es sprächen jedoch mehr Gesichtspunkte für die Annahme einer Rückwirkung, da die fehlende Tariffähigkeit der XY. auf Satzungsmängeln beruhe, die seit dem 5. Dezember 2005 bestünden. Der Geltendmachung der Beiträge stehe auch nicht der verfassungsrechtliche Grundsatz des Verbots einer Rückwirkung entgegen. Denn anders als der Gesetzgeber erlasse das Gericht keine Gesetze, sondern wendet diese an. Zwar möge die Fallkonstellation, über welche das Bundesarbeitsgericht entschieden habe, neu gewesen sein. Bundesgerichte hätten jedoch immer „ein erstes Mal“ zu entscheiden, wie Normen auszulegen seien. Die nachgeforderten Beiträge seien auch nicht verjährt. Spätest...