Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtswidrigkeit der Aufhebung der Leistungsbewilligung im Rahmen der endgültigen Entscheidung gem § 41a SGB 2. fehlende Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung. Auslegung des Verfügungssatzes des Verwaltungsakts. keine Möglichkeit der Rücknahme der Leistungsbewilligung nach § 45 SGB 10

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung eines Verwaltungsakts ergibt sich aus seinem Verfügungssatz.

2. Die Begründung kann dann nur zur Auslegung des Verfügungssatzes herangezogen werden, nicht zu einer von seinem Wortlaut abweichenden Veränderung der Regelungsrichtung.

3. Eine bloß vorläufige Leistungsbewilligung muss bereits im Verfügungssatz geregelt sein. Der explizit als endgültige Leistungsbewilligung formulierte Verfügungssatz ist eine Auslegung anhand der Begründung des Verwaltungsakts nicht zugänglich.

4. Sind die Voraussetzungen für eine endgültige Leistungsbewilligung noch nicht gegeben und daher eine vorläufige Leistungsbewilligung zutreffend, ist ein endgültiger Verwaltungsakt von vornherein rechtswidrig (Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses).

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 17. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. ab dem 15. März 2018 bewilligt.

 

Gründe

Die gem. § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde des Antragsgegners, mit der sinngemäß beantragt wird,

den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 17. Januar 2018 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage S 8 AS 651/17 vor dem Sozialgericht Kassel gegen den Aufhebungsbescheid vom 28. Juni 2017 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 6. November 2017 und den Bescheid vom 9. November 2017 abzulehnen,

ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Sozialgericht Kassel hat in seinem Beschluss vom 17. Januar 2018 zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage S 8 AS 651/17 angeordnet.

Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (Wahrendorf, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl., 2014, § 86b Rn. 104).

Die Klage S 8 AS 651/17 vor dem Sozialgericht Kassel gegen den Aufhebungsbescheid vom 28. Juni 2017 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 6. November 2017 und des Bescheides vom 9. November 2017 hatte gem. § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) nicht schon von sich aus aufschiebende Wirkung. Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Verwaltungsakten um Bescheide, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufheben.

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids vom 28. Juni 2017 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 6. November 2017 und des Bescheides vom 9. November 2017.

Eine Aufhebung des Bescheids vom 10. Februar 2017 und des Änderungsbescheides vom 21. März 2017 für die Zeit vom 1. März 2017 bis zum 28. Februar 2018 gem. § 41a SGB II in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) kam nicht in Betracht. Der Antragsgegner konnte nicht gem. § 41a Abs. 3 SGB II endgültig entscheiden, weil es sich bei den Bewilligungsbescheiden bereits nicht um eine vorläufige Bewilligung gehandelt hatte.

Der jeweilige Verfügungssatz der Bescheide enthält gerade keinen Hinweis auf die bloß vorläufige Leistungsbewilligung. Die Vorläufigkeit wird erst in dem Bereich des Verwaltungsakts benannt, der mit "Begründung" bzw. "Sonstige Gründe" überschrieben ist. Der Verfügungssatz enthält daher nach seinem Wortlaut eindeutig eine endgültige Leistungsbewilligung.

Die Regelung eines Verwaltungsakts ergibt sich aus seinem Verfügungssatz. Zwar müssen Verwaltungsakte - anders als bspw. Urteile - nicht so aufgebaut sein, dass klar zwischen einem Verfügungssatz (bzw. Tenor) und seiner Begründung getrennt wird (Mutschler, in: Kasseler Kommentar, SGB X, 97. EL 12/2017, § 31 Rn. 21). Andererseits ist dies bei den hier gegenständlichen Verwaltungsakten gerade geschehen.

Die Begründung kann dann nur zur Auslegung des Verfügungssatzes herangezogen werden, nicht zu einer von seinem Wortlaut abweichenden Veränderung der Regelungsrichtung (vgl. Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB, 12/11, § 31 SGB X, Rn. 35). Der Wortlaut des Verfügungssatzes des Bescheids vom 10. Februar 2017 ist jedoch einer Auslegung nicht zugänglich, weil er bereits aus sich heraus eindeutig ist ("...bewillige ich...folgende Leistungen:"). Um einer Auslegung zugänglich...

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