Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Beschluss des LSG Darmstadt vom 4.9.2020 - L 4 KA 13/20 B, der vollständig dokumentiert ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 23. Juni 2020 aufgehoben und der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für zulässig erklärt.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten bezüglich der Beschwerde hat der Kläger zu tragen.
Die weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um den Rechtsweg für eine Klage gegen die Heranziehung des Klägers zum Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD). Der Kläger ist Kardiologe, ausschließlich privatärztlich tätig und hat seinen Praxissitz in A-Stadt. Mit Schreiben vom 15. Mai 2019 informierte die Beklagte den Kläger über die Einbeziehung der Privatärzte in den ÄBD der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen (u.a. über Procedere, Teilnahmevoraussetzungen/Nachweise, Befreiungsgründe, Altersgrenze, finanzielle Rahmenbedingungen). Hiergegen legte der Kläger am 8. Juli 2019 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2020 als unzulässig zurückwies.
Der Kläger wendet sich mit der am 11. März 2020 erhobenen Klage gegen die Heranziehung zum Bereitschaftsdienst als solche und rügt die fehlende berufsrechtliche Umsetzung der aus § 23 Nr. 2 Hessisches Heilberufegesetz (HessHBerG) folgenden Verpflichtung. Dies wäre nur durch eine gemeinsame BDO von Landesärztekammer und Beklagter möglich gewesen. Sowohl Berufsordnung (BerO) als auch BDO seien unwirksam, soweit sie Pflichten zu Lasten von Privatärzten begründen sollen. Der Kläger hat die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Verwaltungsgericht beantragt.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 23. Juni 2020 den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verwiesen.
Die Beklagte vertritt mit ihrer hiergegen gerichteten, am 21. Juli 2020 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde die Rechtsauffassung, der Sozialrechtsweg sei eröffnet, da die streitentscheidenden Normen dem Vertragsarztrecht zuzurechnen seien. Die Rechte und Pflichten aus § 23 Nr. 2 HessHBerG würden durch ihre BDO konkretisiert.
Der Kläger ist der Rechtsauffassung, der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, da es sich um die Rechtsmaterie des ärztlichen Berufsrechts handele. Keine der Katalogzuständigkeiten des § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei betroffen. Insbesondere handele es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung. Es gäbe keine Norm, die es der Beklagten gestatte, gegenüber Vertragsärzten Verwaltungsakte zu erlassen. Vorliegend fehle auch eine Umsetzung der Verpflichtung aus § 23 HessHBerG in § 24. In § 23 HessHBerG finde sich auch kein Wort davon, dass die Privatärzte der Regelungs- insbesondere Satzungsgewalt der KV unterworfen würden. Es gebe nicht einmal einen Hinweis, was mit Beteiligung am Bereitschaftsdienst gemeint sei. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass Privatärzte ihrer Regelungsmacht unterworfen seien. In der Folge sei der Sozialrechtsweg nicht für Ärzte eröffnet, die mit dem Vertragsarztsystem nichts zu tun hätten.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakte des Sozialgerichts Marburg (S 11 KA 141/20) sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffnet.
Die Abgrenzung von § 51 SGG zu § 40 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vollzieht sich bei der Auslegung des Kataloges des § 51 Abs. 1 SGG aufgrund der Funktion des § 51 SGG als abdrängende Sonderzuweisung. Dabei bestehen keine Bedenken gegen eine weite Auslegung des Begriffs der § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG (Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juni 2010, L 1 KR 89/10 KL - juris Rdnr. 6 -; auch zum Folgenden: Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rdnr. 481 f.). Die verbreitete Auslegungsregel, Ausnahmevorschriften eng auszulegen, kann bei der Auslegung von abdrängenden Sonderzuweisungen erst dann Bedeutung gewinnen, wenn sich ein bestimmter Wille des Gesetzgebers nicht ermitteln lässt. Rechtswegregelungen sind in besonderem Maße von Zweckmäßigkeitsüberlegungen des Gesetzgebers bestimmt und dienen, basierend auf dem Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Gerichtszweige, einer sachgemäßen Arbeitsverteilung unter den verschiedenen Gerichtsbarkeiten (BVerwGE 47, 255 ≪259≫). Auch kann § 51 SGG kein beschränkender Systemgedanken entnommen werden, etwa im Sinne einer „Sozialversicherungsgerichtsbarkeit“; vielmehr bilden § 51 SGG und die sonstigen bundes- und landesrechtlichen Zuweisungen ein Konglomerat verschiedenster Materien ab, die aus unterschiedlichen Gründen, oft anl...