Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthalt aus familiären Gründen. Nichtanwendbarkeit des § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 auf den sorgeberechtigten Elternteil eines freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers
Leitsatz (amtlich)
§ 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) iVm § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) (analog) und Art 18 Abs 1 AEUV vermittelt dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs 1 S 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers kein Aufenthaltsrecht.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2022 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., A-Stadt, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch -SGB II- für die Zeit vom 25. November 2022 bis 28. Februar 2023.
Der 1998 geborene Antragssteller ist slowenischer Staatsangehöriger und lebt in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin Frau C. und dem 2018 geborenen gemeinsamen Sohn D., die ebenfalls slowenische Staatsangehörige sind.
Der Antragssteller ist gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn im Februar 2022 nach Deutschland gekommen. Die Lebensgefährtin des Antragsstellers ist seit dem 1. September 2022 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden bei einem Stundenlohn von 12 Euro bei der M. UG als Reinigungskraft angestellt. Der Antragsteller ist seit 15. April 2023 ebenfalls geringfügig beschäftigt.
Auf den Antrag vom 31. August 2022 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft mit Bewilligungsbescheid vom 26. September 2022 für die Zeit vom 1. September 2022 bis 28. Februar 2023 Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner bewilligte dabei lediglich der Lebensgefährtin und dem Sohn des Antragsstellers Leistungen i.H.v. 409 Euro monatlich (Regelbedarf: 404 Euro und 285 Euro abzüglich des zu berücksichtigende Erwerbseinkommen der Lebensgefährtin i.H.v. 280 Euro). Eine Leistungserbringung für den Antragssteller lehnte der Antragsgegner ab. Den dagegen am 12. Oktober 2022 eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2022 als unbegründet zurück.
Der Antragssteller erhob dagegen am 25. November 2022 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main und stellte gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Begründet wurde der Antrag damit, dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keine Anwendung finde, da er sich nicht alleine zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte, sondern ihm als sorgeberechtigtem Elternteil seines minderjährigen freizügigkeitsberechtigten Kindes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU -FreizügG/EU- i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz -AufenthG- und Art. 18 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union -AEUV- zustehe.
Der Antragssteller beantragte, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Antragstellung für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Antragsgegner trat dem entgegen. Der Antragsgegner war der Auffassung, dass dem Antragssteller kein von seinem Sohn abgeleitetes Aufenthaltsrecht zukomme und der Antragssteller daher dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterliege.
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2022 verpflichtete das Sozialgericht Frankfurt am Main den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Antragssteller vorläufig für den Zeitraum vom 25. November 2022 bis zum 28. Februar 2023 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu bewilligen.
Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller habe gegen den Antragsgegner einen Anspruch nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II erhielten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht hätten (Nr. 1), erwerbsfähig seien (Nr. 2), hilfebedürftig seien (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten (Nr. 4), soweit sie nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen seien.
Der Antragssteller habe das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. ...