Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedingungsfeindlichkeit der Einlegung der Berufung
Orientierungssatz
1. Die Berufung kann als Prozesshandlung nicht unter einer Bedingung erhoben werden. Soll sich das Berufungsgericht nach dem Willen des Klägers nach einem ergangenen Gerichtsbescheid mit der Berufung erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung befassen, so soll sich nach seiner Vorstellung das Berufungsgericht mit der Sache nur dann befassen, wenn er beim Sozialgericht mit seinem Klagebegehren nicht durchdringt. Eine derart auf ungewisse Umstände außerhalb des prozessualen Rahmens abstellende Bedingung macht die Prozesshandlung unwirksam.
2. § 105 Abs. 2 S 3 SGG eröffnet nicht die Möglichkeit, gegen einen Gerichtsbescheid Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen und gleichzeitig Berufung einzulegen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 15. November 2004 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit Gerichtsbescheid vom 15. November 2004 hat das Sozialgericht Marburg die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2001, mit der der Kläger die vollständige Befreiung von den Zuzahlungen zu Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Fahrtkosten für die Zeit ab 1. Juli 2001 begehrte, abgewiesen. Aufgrund der Höhe des ab 1. Juli 2001 bezogenen Unterhaltsgeldes lägen die Voraussetzungen des § 61 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) weder nach dem bis zum 31. Dezember 2003 geltenden noch nach dem aktuellen Rechtszustand vor. Die Rechtsmittelbelehrung hat den Kläger auf die Möglichkeit hingewiesen, gegen den Gerichtsbescheid Berufung zum Hessischen Landessozialgericht einzulegen.
Am 15. Dezember 2004 hat der Kläger beim Sozialgericht Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Gleichzeitig hat er Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2005 hat der Kläger mitgeteilt, im Hinblick auf den von ihm gestellten Antrag an das Sozialgericht auf mündliche Verhandlung halte er den Senat derzeit nicht für zuständig. Gemäß § 105 Abs.2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne gegen einen Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung beantragt und daneben das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden, wobei in diesem Fall zunächst die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht stattzufinden habe; dementsprechend sei zu verfahren.
Einen Sachantrag hat der Kläger nicht gestellt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig.
Der Kläger ist durch Schreiben des Senats vom 12. Januar 2005 auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 158 S. 1 SGG zu verwerfen.
Der Senat macht hierbei von der Möglichkeit des § 158 Satz 2 SGG Gebrauch, durch Beschluss der Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Diese Verfahrensweise ist auch dann eröffnet, wenn erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist. Bedenken im Hinblick auf die Wahrung rechtlichen Gehörs unterliegt dies nicht, weil § 158 S. 2 SGG nur unzulässige Berufungen betrifft (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl., § 158 Rdnr. 6 m.w.N.).
Als Prozesshandlung kann die Berufung nicht unter einer Bedingung erhoben werden (Meyer-Ladewig, SGG, § 151 Rdnr. 2; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr. 5). Der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen schließt es aus, dass ein Rechtsstreit in der Schwebe bleibt, also Ungewissheit besteht über Klageerhebung, Klagerücknahme, Rechtsmitteleinlegung oder die Beendigung eines Rechtsstreits (BSG, Urteil vom 17. Mai 1989 , Az: 10 RKg 16/88). Der Kläger hat seine Berufung jedoch in diesem Sinne unter eine Bedingung gestellt, denn der Senat soll sich nach dem Willen des Klägers mit der Berufung erst nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. der Bescheidung dieses Begehrens durch das Sozialgericht befassen, im Ergebnis also nur dann, wenn der Kläger auch auf diesem Weg mit seinem Klagebegehren beim Sozialgericht nicht durchdringt. Eine derart auf ungewisse Umstände außerhalb des prozessualen Rahmens abstellende Bedingung macht die Prozesshandlung unwirksam (BSG a.a.O.).
Die Auffassung des Klägers, die prozessuale Situation sei vorliegend anders zu beurteilen, weil § 105 Abs.2 Satz 3 SGG ihm die Möglichkeit eröffne, gegen einen Gerichtsbescheid Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht zu stellen und gleichzeitig Berufung einzulegen, trifft nicht zu. Die von ihm angeführte Vorschrift des § 105 Abs. 2 S. 3 SGG betrifft den Fall des Gerichtsbescheids, gegen den die Berufung nicht statthaft ist, wenn ein Beteiligter Nichtzulassungsbeschwerde einlegt und ein anderer Beteiligter Antrag auf mündliche Verhandlung stellt (Meyer-Ladewig a.a.O...